BVerwG entscheidet zu Schall, Irrelevanzkriterium und Einwirkungsbereich
Gestern am 23.01.2025 entschied das Bundesverwaltungsgericht (Az.: 7 C 4.24) zu schallimmissionsschutzrechtlichen Fragestellungen: Schall, Irrelevanzkriterium und Einwirkungsbereich. Es gab der Klage eines Betreibers von Windenergieanlagen statt und hob eine Nebenbestimmung zur Einschränkung des Nachtbetriebs auf (siehe hier).
Mit Spannung dürfen die schriftlichen Urteilsgründe erwartet werden. Bereits in der mündlichen Verhandlung beschäftigte sich das Bundesverwaltungsgericht mit zahlreichen, sehr praxisrelevanten Fragen: Bedeutung der TA Lärm für den Schallschutz, dem 6dB(A)-Irrelevanzkriterium und der Frage nach einem „erweiterten“ Irrelevanzkriterium von 15 dB(A), der Sonderfallprüfung nach Nr. 3.2.2 der TA Lärm und der Bedeutung des 10 dB(A)-Einwirkungsbereich.
Worum ging es in der Verhandlung?
Einem Betreiber in Brandenburg wurde eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen erteilt. Die Genehmigung wurde jedoch seitens der Genehmigungsbehörde (LfU) mit einer Nebenbestimmung versehen, die Beschränkungen des Nachtbetriebs der Anlagen vorsah. Nach Auffassung der Genehmigungsbehörde (LfU) wären diese Beschränkung des Nachtbetriebs erforderlich, um die Einhaltung der schallimmissionsschutzrechtlichen Anforderungen sicherzustellen.
Hintergrund dafür war, dass es an einem Immissionsort zu einer rechnerischen Überschreitung des Immissionsrichtwerts (konkret: Zwischenwerts) kam. Dabei stellte sich die Frage, ob die genehmigten Windenergieanlagen mit ihrem Schallverhalten überhaupt einen relevanten Beitrag für die Überschreitung des Immissionsrichtwerts leisten. Die Genehmigungsbehörde (LfU) stellte sich auf den Standpunkt, dass sich die Frage der Irrelevanz von Schallimmissionen danach bemisst, ob die Zusatzbelastung der Genehmigungsanlage um 15 dB(A) unterhalb des maßgeblichen Immissionsrichtwerts liegt. Danach wären die genehmigten Windenergieanlagen nicht irrelevant gewesen und der Nachtbetrieb wäre daher zu beschränken.
Dabei bestimmt aber die maßgebliche Vorschrift zur Irrelevanz von Schallimmissionen in Nr. 3.2.1 Abs. 2 der TA Lärm, dass das Irrelevanzkriterium im Regelfall nur bei einer Zusatzbelastung um 6 dB(A) unterhalb des maßgeblichen Immissionsrichtwerts liegt.
Damit war für das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden, ob sich die Frage der Irrelevanz nach einem „erweiterten“ 15 dB(A)-Irrelevanzkriterium richten kann.
Was hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung zur Irrelevanz gesagt?
In der mündlichen Verhandlung vom 23.01.2025 hat das Bundesverwaltungsgericht zu erkennen gegeben, dass es seine bisherige Rechtsprechung zur Bindungswirkung der TA Lärm fortführt und noch einmal die Bedeutung der TA Lärm bekräftigt.
Aus diesem Grund hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner mündlichen Verhandlung bereits rechtliche Zweifel an einem „erweiterten“ Irrelevanzkriterium von 15 dB(A) geäußert. Nach dem Wortlaut unter Nr. 3.2.1 Abs. 2 der TA Lärm liegt das Regefall-Irrelevanzkriterium bei einer Zusatzbelastung von 6 dB(A) unter dem Immissionsrichtwert. In diesem Zusammenhang befasste es sich auch mit dem räumlichen Einwirkungsbereich einer Anlage, welcher nach Nr. 2.2 lit. a) der TA Lärm bei einer Zusatzbelastung von 10 dB(A) unterhalb des Immissionsrichtwerts liegt. Dabei gab es zu bedenken: Wenn eine „Fläche“ außerhalb des 10 dB(A)-Einwirkungsbereichs liegt und nach den Vorgaben der TA Lärm daher schon keinen Immissionsort darstellt, dann kann sich die Frage der Irrelevanz wohl kaum außerhalb des Einwirkungsbereichs stellen.
In der mündlichen Verhandlung schien deutlich zu werden, dass sich das Bundesverwaltungsgericht an der abgestuften Systematik der TA Lärm orientierte: 6 dB(A)-Irrelevanzkriterium und 10 dB(A)-Einwirkungsbereich. Jenseits des 10 dB(A)-Einwirkungsbereichs ist die Vorstellung eines „erweiterten“ 15 dB(A)-Irrelevanzkriteriums daher schwierig.
Außerdem: Einwand der Sonderfallprüfung zurückgewiesen
In der mündlichen Verhandlung versuchte die Genehmigungsbehörde (LfU) das „erweiterte“ Irrelevanzkriterium von 15 dB(A) auch damit zu begründen, dass ein Wert von 15 dB(A) geboten sei, weil mehr als 12 Anlagen auf einen Immissionsort einwirken und es sich bei den Genehmigungsanlagen um Windenergieanlagen handelt.
Dies hat das Bundesverwaltungsgericht offenbar wenig überzeugt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung mit Verweis auf den Wortlaut in Nr. 3.2.2 der TA Lärm klargestellt, dass die ergänzende Sonderfallprüfung nach TA Lärm auf eine Einzelfallprüfung abstellt und hierfür besondere Umstände vorliegen müssen, die bei der Regelfallprüfung keine Berücksichtigung finden. Zum Vorliegen solcher Gründe für eine 15 dB(A)-Irrelevanz bei Windenergieanlagen hat das Bundesverwaltungsgericht erhebliche Zweifel angemeldet.
Wie ging die Entscheidung aus?
Im Ergebnis hat das Bundesverwaltungsgericht die Revision des klagenden Betreibers stattgegeben und die Einschränkung für den Nachtbetrieb aufgehoben.
Für die Begründung seiner Entscheidung hob das Bundesverwaltungsgericht in seiner gestern noch veröffentlichten Pressemitteilung (siehe hier) die Bedeutung des 10 dB(A)-Einwirkungsbereichs einer Anlage hervor: „Der Einwirkungsbereich einer immissionsschutzrechtlichen Anlage ist in der TA Lärm abschließend und verbindlich festgelegt.“ Dementsprechend dürfte ein über die 10 dB(A) hinausgehendes „erweitertes“ Irrelevanzkriterium von 15 dB(A) wohl kaum gerechtfertigt gewesen sein.
Mit Blick auf das verwendete Argument einer Sonderfallprüfung nach Nr. 3.2.2 der TA Lärm stellte das Bundesverwaltungsgericht auch klar: „Die außerhalb des Einwirkungsbereichs liegende Zusatzbelastung rechtfertigt keine Sonderfallprüfung, wenn sie – wie hier – nach der TA Lärm als irrelevant anzusehen ist.“
Was folgt daraus?
Die Aussagen aus der mündlichen Verhandlung und der veröffentlichten Pressemitteilung vom 23.01.2025 dürften die Erwartung begründen, dass die Bedeutung der TA Lärm für den Schallschutz gestärkt wird. Die sich eingeschlichene Verwaltungspraxis in einzelnen Bundesländern – abweichend von der TA Lärm pauschal höhere Irrelevanzkriterien zu fordern – könnte damit ein Ende bereitet werden. Damit dürften auch die Erlässe zahlreicher Bundesländer fehlerhaft sein, die pauschal Irrelevanzkriterien bis zu 15 dB(A) fordern.
Insgesamt wäre eine klare und nachdrückliche Entscheidung in diesem Bereich aus Gründen der Rechtssicherheit zu begrüßen, da ein nicht unerheblicher Teil der Verwaltungspraxis die seit vielen Jahren bestehende ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Bindungswirkung der normenkonkretisierenden Vorgaben der TA Lärm ignoriert.
Doch zunächst gilt es die schriftlichen Urteilsgründe abzuwarten. Wir informieren Sie hier, sobald die Urteilsgründe veröffentlicht wurden.