Update: Änderung des Thüringer Waldgesetz
Die umstrittene Änderung des Thüringer Waldgesetzes wird alsbald in Kraft treten. Angesichts der verfassungsrechtlichen Bedenken hatte Landtagspräsidentin Birgit Pommer das Gesetz zunächst nicht ausgefertigt. Man wollte eine Prüfung des wissenschaftlichen Dienstes noch abwarten. Offenbar liegt diese Prüfung jetzt vor, nach der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags wird diese spätestestens in einem Monat veröffentlicht. Die Gesetzesänderung selbst könnte schon im nächsten Gesetz- und Verordnungsblatt am 22.02.24 verkündet werden und danach in Kraft treten. Mit den zu befürchtenden Folgen für den Ausbau der Windenergie in Thüringen.
Meldung vom 15.12.2023
Der Thüringer Landtag hat letzte Woche die Änderung des Thüringer Waldgesetz verabschiedet – mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD. Anlass hierfür war das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 27.09.2022, das das seit 2020 im Thüringer Waldgesetz geregelte Verbot von Windenergieanlagen im Wald für verfassungswidrig und nichtig erklärte. Für ein solches Verbot hatte der Freistaat Thüringen schlicht keine Gesetzgebungskompetenz (wir berichteten hier).
Das BVerfG erklärte selbstverständlich nur diese Verbotsregelung in § 10 Absatz 1 Satz 2 ThürWaldG a.F. für nichtig, nicht etwa das gesamte Thüringer Waldgesetz. Dennoch sah sich die FDP-Gruppe im Thüringer Landtag veranlasst, innerhalb weniger Wochen nach Veröffentlichung des Urteils einen Gesetzentwurf vorzulegen, den jetzt die Opppsition im Landtag mit Hilfe der AfD unverändert beschlossen hat. Das verfassungswidrige Verbot von Windenergieanlagen im Wald ist darin natürlich nicht mehr enthalten. Auch dass nunmehr bei der Interessenabwägung ausdrücklich „insbesondere die Möglichkeit der Aufforstung geschädigter Waldflächen sowie die Nutzung von Alternativflächen für das der Umwandlung zugrundeliegende Vorhaben einzubeziehen“ sind, ist nicht wirklich neu. Schon nach alter Rechtslage war zwingend eine umfassende Interessenabwägung der berechtigten Interessen des Waldbesitzers und der Belange der Allgemeinheit durchzuführen.
Ausgleichsaufforstung nicht auf landwirtschaftlichen Flächen
Vielleicht weil der FDP klar war, dass § 2 EEG diese Interessenabwägung in der Regel zu Gunsten des Ausbaus der Windenergie ausfallen lässt, erdachte man einen neuen § 10 Abs. 3 Satz 2 ThürWaldG. Eine auf den ersten Blick eher unauffällige Regelung, die es aber der Windenergienutzung – und genauso ganz anderen Bauvorhaben – in den Wäldern Thüringens sehr schwer machen könnte: „Die Ausgleichsaufforstung soll nicht auf für den landwirtschaftlichen Betrieb bestimmten Flächen vorgenommen werden“. Zwar bestand seit jeher bei Waldumwandlungen eine Pflicht zur „funktionsgleichen Aufforstung“. Jetzt soll diese nur nicht mehr auf landwirtschaftlichen Flächen stattfinden, weil „in Deutschland mit Blick auf Lieferkettenprobleme und die Folgen des Ukraine-Krieges für die weltweite Nahrungsmittelversorgung ein hohes Interesse am Erhalt heimischer Agrarflächen besteht“, so die denkbar knappe Gesetzesbegründung.
Ausgleichsflächen außerhalb der Landwirtschaft kaum vorhanden
An dieser Regelung entzündete sich bereits während des parlamentarischen Verfahrens harsche Kritik. U.a. der NABU, die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und sogar der Bauernverband lehnten diese Regelung entschieden ab. Der BUND kritisierte in seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf in aller Nüchternheit, es bestünden „angesichts des Flächenanteils der Landwirtschaft an der Gesamtfläche Thüringens Bedenken, dass durch diesen Zusatz Ausgleichsmaßnahmen nicht realisiert werden könnten.“ Die Norm diene im Übrigen gerade nicht dem Walderhalt.
In der Tat: Wenn ab sofort im Falle einer Waldumwandlung die Ausgleichsaufforstung nicht mehr auf landwirtschaftlichen Flächen zulässig sein „soll“ – dann kann sie in Thüringen womöglich nirgendwo durchgeführt werden. Außerhalb der landwirtschaftlichen Flächen dürften in Thüringen kaum genug Flächen für die erforderliche Ausgleichsaufforstung zur Verfügung stehen. Zumal man, trotz deutlichen Hinweisen im Rahmen des Anhörungsverfahres, nicht einmal bereit war, den Begriff „für den landwirtschaftlichen Betrieb bestimmten Flächen“ wenigstens einzugrenzen. So aber sind selbst seit langem nicht mehr der Agarproduktion dienende Flächen und sogar versiegelte Betriebs- oder Lagerflächen vor einer Ausgleichsaufforstung „geschützt“.
Ausgleichsaufforstungsverbot weitereichend
Hinzu kommt, dass die Ausgleichspflicht nach dem Waldgesetz gleichermaßen dann greift, wenn Windenergievorhaben auf Kahlschlagsflächen ohne Baumbestand oder vom Borkenkäfer befallenen Flächen geplant sind. Auch das gilt als „Wald“ und dessen Umwandlung in einen Windpark muss waldrechtlich mittels Aufforstung ausgeglichen werden. Selbst für Vorhaben auf solchen Kalamitätsflächen und selbst für kleinere Ausgleichsaufforstungen – die beispielsweise für die Zuwegung notwendig werden – muss man in Thüringen erstmal eine passende Ausgleichsfläche finden. Dabei muss die Windenergienutzung im Wald zusätzlich mit allen übrigen Bauvorhaben, die eine Waldumwandlung erfordern, um die Ausgleichsflächen konkurrieren. Denn das Aufforstungsverbot auf landwirtschaftlichen Flächen gilt nicht etwa nur speziell für Windenergieanlagen, sie gilt genauso für Straßenbau, Gewerbegebiete und große Industrieansiedlungen.
Immerhin ist § 10 Abs. 3 Satz 2 ThürWaldG als „Soll“- Regelung formuliert. Für die Genehmigungsbehörden heißt das, zumindest im Ausnahmefall dürfen landwirtschaftliche Flächen zwecks Ausgleichs einer Waldumwandlung aufgeforstet werden. Das könnte zumindest Ausgleichsaufforstungen auf landwirtschaftlichen „Grenzfällen“ ermöglichen. Wie oft die zuständigen Sachbearbeiter einen solchen Ausnahmefall zu bejahen wagen, kann man aber ein bisschen erahnen. Und wie viele Windenergievorhaben sich deshalb massiv verzögern, wenn nicht gar daran scheitern werden, auch.
Ungeachtet dieser potenziell faktischen Verunmöglichung der Windenergienutzung im Wald sind die ebenfalls geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken an dieser Norm nicht ganz von der Hand zu weisen. Landtagsdirektor Jörg Hopfe sah sich deshalb veranlasst, noch am Vortrag der Gesetzesverabschiedung ein Schreiben an alle Landtagsabgeordneten zu schicken, in denen er auf Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz hinwies und eine Vertagung anregte.
Angesichts all dessen würde es nicht überraschen, würde das Thüringer Waldgesetz demnächst erneut in Karlsruhe landen.