Sachsen-Anhalt: Gemeinden dürfen Abstandsflächen von Windenergieanlagen verkürzen
Gemeinden in Sachsen-Anhalt dürfen auf Grundlage des BauGB in ihren Bebauungsplänen die Abstandsflächen für Windenergieanlagen verkürzen. Das war seit ca. 10 Jahren von oberster, ministerieller Ebene immer wieder bestritten worden. Das Verwaltungsgericht Halle hat das nun mit Urteil vom 01.02.2024 zum ersten Mal richtiggestellt.
Im zu entscheidenden Fall hatte eine Gemeinde von der Festsetzungsermächtigung des § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB Gebrauch gemacht. Demnach dürfen in Bebauungsplänen aus städtebaulichen Gründen „vom Bauordnungsrecht abweichende Maße der Tiefe der Abstandsflächen“ festgesetzt werden. Das ist sehr oft für eine sinnvolle Ausnutzung der Fläche oder auch eine Nachverdichtung hilfreich, da die Abstandsflächen von Windenergieanlagen gerade bei kleinteiligen Grundstückszuschnitten kaum auf ein und dem selben Grundstück liegen können, wie es die Bauordnungen im Idealfall eigentlich vorsehen. Und deshalb nutzte die Gemeinde die im BauGB vorgesehene Möglichkeit und setzte in einem Sondergebiet für die Windenergie eine Abstandsflächentiefe von 0,25H fest. Daraufhin schaltete sich die Kommunalaufsicht ein. Sie beanstandete diese Festsetzung als rechtswidrig und ordnete sogar kommunalaufsichtlich an, die Gemeinde solle ihren Beschluss über den Bebauungsplan aufheben. Es gäbe für die verkürzte Abstandsflächentiefe keine Festsetzungsgrundlage, die Bauordnung in Sachsen-Anhalt sähe für Windenergieanlagen vielmehr eine spezielle, verschärfte Abstandsflächentiefe von 1H vor. Die Gemeinde dürfe dieses Landesrecht nicht über ihre Bebauungsplanung aushebeln.
Genehmigungshindernis in Sachsen-Anhalt: Verschärfte Abstandsflächentiefen für Windenergieanlagen
Mit dieser Argumentation sahen sich in Sachsen-Anhalt seit Jahren zahlreiche Gemeinden konfrontiert. Oft dürften diese dann in ihrem Bebauungsplan auf eine Abstandsflächenverkürzung verzichtet haben. Die Projektierer standen in Sachsen-Anhalt dann vor dem Problem, dass ihre Windenergieanlagen die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen schlicht nicht einhalten konnten. Daher musste man versuchen, die Abstandsflächen rechtlich mittels Baulasten zu sichern. Ein bisweilen erhebliches Genehmigungshindernis, obwohl gerade im Fall von Windenergieanlagen die Zwecke der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften – nämlich Belichtung, Belüftung, Besonnung der Nachbarbebauung zu gewährleisten – in keinster Weise tangiert sind. Eine Abweichung erteilten die Behörden aus den gleichen Gründen auch nicht, in Sachsen-Anhalt habe der Landesgesetzgeber nunmal spezielle Abstandsflächen für Windenergieanlagen geregelt, Ausnahmen seien deshalb nicht möglich.
Bundesrecht bricht Landesrecht
Gegen die auf dieser rigiden Rechtsauffassung beruhenden kommunalaufsichtlichen Maßnahmen wehrte sich die Gemeinde mit Widerspruch – erfolglos – und klagte schließlich gegen die kommunalaufsichtlichen Maßnahmen beim VG Halle. Mit Erfolg. Das VG Halle schloss sich der Argumentation der klagenden Gemeinde an. Es erkannte zutreffend die Kompetenzverteilung zwischen bundesrechtlicher, städtebaulicher Festsetzungsermächtigung im BauGB und landesrechtlicher Abstandsflächentiefe in der Bauordnung. Es stehe „dem Landesgesetzgeber im Rahmen seiner Kompetenz für das Gefahrenabwehrrecht (Art. 70 Abs. 1 GG) nicht zu, den bodenrechtlich (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) motivierten Regelungen des Bundesrechts zuwiderzuhandeln. In einem Kollisionsfalle bricht Bundesrecht das Landesrecht nach Art. 31 GG.“ Die zuständigen Behörden in Sachsen-Anhalt haben mit anderen Worten seit Jahren die grundgesetzliche Kompetenzordnung missverstanden. Das Gericht sah auch hinreichende städtebauliche Gründe für die Abstandsflächenverkürzung. Es hob die kommunalaufsichtlichen Maßnahmen deshalb sämtlich auf.
Sollte dieses sehr erfreuliche Urteil rechtskräftig werden, dann könnte in Sachsen-Anhalt ein erhebliches und vor allem unnötiges Blockadepotenzial für den Ausbau der Windenergie endlich aus dem Weg geräumt sein.
Und womöglich räumt sogar der Landesgesetzgeber bald selbst das nächste Hindernis in Sachsen-Anhalt weg: Das dort noch geltende Verbot von Windenergie im Wald. Das Kabinett hat sich auf die Aufhebung dieses Verbots geeinigt.