Und wieder die Schriftform – BGH urteilt zu Vollständigkeitsklausel
In den meisten Verträgen findet sich in den Schlussregelungen die sog. Vollständigkeitsklausel. Diese hat typischerweise folgenden Inhalt: „Mündliche Nebenabreden zu diesem Vertrag bestehen nicht.“ Hiermit soll abschließend und unangreifbar festgestellt werden, dass der schriftliche Vertrag alle zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen vollständig enthält. Vollständigkeitsklauseln sind sowohl in AGB- als auch in Individiualverträgen üblich.
Der BGH hat nun mit Urteil vom 03.03.2021, Az. XII ZR 92/19 klargestellt, dass solche Vollständigkeitsklauseln den Gegenbeweis weiterer Vereinbarungen neben dem Vertrag nicht ausschließen. Sie verstärken lediglich die Vermutung, dass es keine mündlichen Nebenabreden gebe. Etwaige vorvertragliche Regelungen sind somit nicht belanglos.
Die Entscheidung hat direkte Folgen für das mietvertragliche Schriftformgebot nach § 550 BGB und ist damit auch im Bereich der EE-Grundstückssicherung relevant, und zwar sowohl für AGB- als auch für Individualverträge.
Zum Sachverhalt
Die Parteien eines gewerblichen Mietverhältnisses stritten um die Zahlung von Mietzins und eine diesbezügliche Mietminderung. Der zwischen den Parteien geschlossene Mietvertrag enthielt folgende Klauseln:
„§ 3 Zustand der Mieträume
Die Räume werden durch den Vermieter vor Mietbeginn frisch renoviert wie abgesprochen (…).
§ 14 Sonstiges
1. Mündliche Nebenabreden zu diesem Vertrag bestehen nicht.
2. Änderungen oder Ergänzungen des Vertrages sind nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart werden.“
Die Beklagte zog im April 2016 ein. Sie zahlte aber zu keinem Zeitpunkt die vollständige Miete, da sie diverse Mängel an der Mietsache monierte. Strittig war zwischen den Parteien insbesondere, ob der Kläger als Vermieter die Fenster der Mieträume vor Mietbeginn mit einer zusätzlichen Verglasung habe ausstatten müssen. Dies habe der Vermieter der Mieterin vor Vertragsschluss mündlich versprochen.
Der Vermieter verklagte die Beklagte daraufhin u.a. auf Zahlung der rückständigen Miete. Das Landgericht Chemnitz gab der Klage statt. Das Oberlandesgericht Dresden war ebenfalls der Auffassung, dass es unerheblich sei, ob eine mündliche vorvertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien getroffen wurde. Gemäß Mietvertrag sei vereinbart, dass keine mündlichen Nebenabreden getroffen wurden, die zwischen den Parteien gelten sollen. Eine angebliche Zusage zum Einbau einer zusätzlichen Verglasung habe demnach keinen Eingang in den Mietvertrag finden können.
Entscheidung des BGH
Der BGH hat nun die Entscheidung des OLG in weiten Teilen aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Der BGH geht, anders als das OLG, davon aus, dass eine Minderung des Mietzinses aufgrund der fehlenden Doppelverglasung durchaus in Frage kommt. Der Wortlaut von § 3 des Mietvertrages mit dem Zusatz „wie abgesprochen“ nimmt demnach auf vorvertragliche Absprachen zwischen den Parteien zum Zustand der Mietsache Bezug. Dieser Formulierung sei zumindest die Andeutung zu entnehmen, dass den vorvertraglichen Absprachen eine gewisse Relevanz für die Auslegung des Begriffs „frisch renoviert“ zukommt. Der BGH stellt zugleich klar, dass für die notwendige Berücksichtigung solcher vorvertraglicher Absprachen ein Zusatz wie „wie abgesprochen“ gar nicht erforderlich ist. Vielmehr seien immer die Gesamtumstände der Vertragsverhandlungen zu berücksichtigen.
Aus der Vollständigkeitsklausel lässt sich laut BGH auch nicht herleiten, dass vorvertragliche und außerhalb des schriftlichen Mietvertrages geschlossene Vereinbarungen ihre Relevanz verlieren, sobald der Vertragsabschluss erfolgt ist. Die Vollständigkeitsklausel bestätigt zwar zunächst einmal die Vollständigkeit des schriftlichen Vertrages hinsichtlich aller zwischen den Parteien vereinbarten Vertragsregelungen. Will sich ein Vertragspartner allerdings auf eine abweichende mündliche Vereinbarung berufen, so stehe ihm trotz Vollständigkeitsklausel der Gegenbeweis offen.
Eine Vollständigkeitsklausel kann dementsprechend keine unwiderlegbare Vermutung für das Nichtbestehen mündlicher Abreden neben dem schriftlichen Vertrag darstellen. Ihr kann auch nicht entnommen werden, dass die Absprachen der Parteien aus dem Stadium der vertragsanbahnenden Verhandlungen nicht mehr gelten sollen. Soweit eine Vollständigkeitsklausel AGB-Charakter hat, ist sie laut BGH als sog. bezweckende Formularklausel gem. §§ 305b, 307, 309 Nr. 12 BGB ohnehin unwirksam.
Das OLG Dresden muss sich nun erneut mit der Frage beschäftigen, ob der Kläger der Beklagten vorvertraglich eine Doppelverglasung der Fenster zugesagt hat.
Auswirkungen der Entscheidung auf das Schriftformerfordernis gem. § 550 BGB
Der BGH hat sich in dem Urteil zwar nicht mit der Schriftform beschäftigt. Gleichwohl stellt sich vor dem Hintergrund des Urteils die Frage, inwieweit sich vorvertragliche, lediglich mündlich getroffene Vereinbarungen auf das Schriftformerfordernis nach § 550 BGB auswirken:
Gem. §§ 578 Abs. 1, 550 S. 1 BGB gilt ein Grundstücksmietvertrag, der für längere Zeit als ein Jahr nicht in schriftlicher Form geschlossen wird, für unbestimmte Zeit. Dies hat zur Folge, dass ein solcher Vertrag, der die Schriftform nicht einhält, gem. § 542 Abs. 1 BGB jederzeit gekündigt werden kann. Die gesetzliche Kündigungsfrist ergibt sich dann aus § 580a BGB. Eine Paragraphenkette, die im Bereich der Grundstückssicherung für Windenergieprojekte – konkret: für Grundstücksmietverträge – eine immense Bedeutung hat. Mit der Schriftformproblematik haben wir uns u.a. auch in unserer News vom 3.5.2020 beschäftigt.
Grundsätzlich sind vom Schriftformgebot alle Vereinbarungen umfasst, aus denen sich nach dem Willen der Vertragsparteien der Mietvertrag zusammensetzen soll. Somit unterliegt der gesamte Vertragsinhalt – mit Ausnahme lediglich unwesentlicher oder unverbindlicher Abreden – der Schriftform.
Sofern demzufolge vorvertraglich getroffene mündliche Vereinbarungen eine für den Vertrag nicht unwesentliche Bedeutung haben sollen, unterliegen auch sie der Schriftform gem. § 550 BGB. Dies bedeutet: Werden derartige mündliche Absprachen nicht in den schriftlichen Vertrag aufgenommen, sind sie trotzdem Bestandteil des Vertrages. Dies hat der BGH in der o.g. Entscheidung noch einmal klar herausgestellt. Infolgedessen ist der Vertrag dann zugleich kündbar, da er wegen der mündlichen Absprache nicht die Schriftform einhält. Voraussetzung ist, dass die Partei, die sich auf das Bestehen der Absprache beruft, den Beweis tatsächlich erbringen kann.
In der Konsequenz sollte dem Aspekt vorvertraglicher Abreden in der EE-Grundstückssicherung künftig unbedingt mehr Augenmerk beigemessen werden.
Für weitere Fragen und Beratung zum Thema stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.