27.11.2020

VG Wiesbaden – Richtungsweisendes Urteil für die Windparkplanung

Das VG Wiesbaden entschied in seinem Urteil vom 24.07.2020 -4 K 2962/16.WI, dass das Regierungspräsidium Darmstadt eine Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von 10 Windenergieanlagen des Windparks Hohe Wurzel zu erteilen hat. Dabei hatte sich das Gericht unter andere mit Fragen des Wasser-, Natur- und Denkmalschutzrechts sowie der Regionalplanung auseinanderzusetzen.

Keine Gefahr der Verunreinigung des Grundwassers

Das VG Wiesbaden stellte zunächst fest, dass eine Verunreinigung des Grundwassers durch die Errichtung des Windparks nicht zu besorgen sei. Es ging zwar davon aus, dass mit den Bauarbeiten Taunusquarzit freigelegt werde. Dies könne jedenfalls zeitweise zu einer wesentlichen Minderung der Grundwasserüberdeckungen führen. Damit sei der Verbotstatbestand des Freilegens einer schlecht reinigenden Schicht erfüllt.

Eine Grundwasserverunreinigung durch die freigesetzten Schadstoffe sei jedoch nicht zu besorgen. Daher sei eine Befreiung von den Verboten der einschlägigen Wasserschutzgebietsverordnung zu erteilen. Denn die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Schadstoffen in das Grundwasser grenze in dem vom Beklagten gesehenen Worst-Case-Szenario eines „Totalversagens“ an Unmöglichkeit. Insgesamt enthalte das Konzept für die Baumaßmaßnahmen ausreichend Maßnahmen zur Sicherung des Grundwassers.

Ausnahme vom Tötungsverbots im Interesse der öffentlichen Sicherheit

Im Zuge der Prüfung entgegenstehender naturschutzrechtlicher Vorschriften sah das VG Wiesbaden einen Verstoß gegen das Tötungsverbot für die auf dem Gebiet der Hohen Wurzel brütenden Wanderfalken. Einen solchen Verstoß im Hinblick die ebenfalls eingewendeten Vogelarten Uhu, Rotmilan und Kranich erkannte das Gericht hingegen nicht.

Signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko

Für den Wanderfalken führe ein Teil der Windenergieanlagen zu einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko. Denn zu diesen befinde sich ein Brutplatz des Wanderfalken in weniger als 1.000 m Entfernung. Die im Genehmigungsverfahren vorgelegten Untersuchungen belegten regelmäßige, unspezifische Flüge innerhalb des 1.000 m bzw. 3.000 m Radius um den Brutplatz. Im Ergebnis führe dies zu einem hohen Kollisionsrisiko. Es gebe auch keine geeigneten Vermeidungsmaßnahmen, die das Kollisionsrisiko unter die Signifikanzschwelle senken könnten.

VG Wiesbaden erkennt Artechutzrechtliche Ausnahme

Jedoch sei nach Aussage des Gerichts hinsichtlich des Wanderfalken gem. § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 4 BNatschG aus Gründen der öffentlichen Sicherheit eine Ausnahme zu erteilen. Hiermit stellt sich das VG Wiesbaden gegen die viel kritisierte Entscheidung des VG Gießen vom 22.01.2020.

Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ umfasse nach enger Auslegung zwar nur Fragen, die „wesentlich sind für die Existenz des Staates“. Nach Ansicht des Gerichts zähle aber auch die Versorgungssicherheit der Bevölkerung mit Energie dazu. Um diese zukünftig und langfristig sicherzustellen, sei eine Hinwendung zu Erneuerbaren Energien notwendig. Windenergie spiele dabei eine zentrale und tragende Rolle. Sie sei somit für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit mit Energie unverzichtbar. Nach Auffassung des Gerichts komme der Windenergie mit Blick auf die Versorgungssicherheit folglich eine existenzielle Bedeutung zu. Auch die Errichtung eines einzelnen Windparks könne für die existenzielle Frage der Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien in Hessen wesentlich sein.

Im Ergebnis stellte sich das Gericht auf den Standpunkt, der Windpark Hohe Wurzel diene als Vorhaben der Energieversorgung der öffentlichen Sicherheit. Auch waren dem Gericht keine zumutbaren Alternativen zur Erreichung des mit dem Vorhaben verfolgten Planungsziels ersichtlich. Ebenso konnte es eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Art Wanderfalke nicht erkennen.

Abwägungsfehler des Teilplans Erneuerbarer Energien (TPEE) Südhessen

Weiter stellte das VG Wiesbaden fest, dass der im März 2020 aufgestellte Teilplan Erneuerbarer Energien (TPEE) für die Region Südhessen die Anforderungen an die Ausweisung als Ziele der Raumordnung nicht erfülle. Der TPEE setzt für die Region Vorranggebiete für die Nutzung von Windenergie mit und ohne Ausschlusswirkung fest. Nach Auffassung das Gericht weise dieser jedoch beachtliche Abwägungsfehler auf.

Nach VG Wiesbaden kein substanzieller Raum

Insbesondere verschaffe der TPEE der Nutzung der Windenergie im Ergebnis nicht substanziell Raum. Es sei zu beachten, dass für das Land Hessen der Landesentwicklungsplan Vorgaben zur Größe der in den Planungsregionen auszuweisenden Flächen trifft. Er sieht vor, dass in den Regionalplänen in Räumen mit ausreichend natürlichen Windverhältnissen 2 % als Vorranggebiete zur Nutzung der Windenergie mit Ausschlusswirkung festzulegen sind. An dieser Vorgabe müsse sich der Regionale Planungsträger grundsätzlich orientieren und diese bei seiner Abwägungsentscheidung berücksichtigen. Der TPEE weise jedoch nur 0,93 % der Planungsfläche der Region Südhessen für die Windenergienutzng aus. Da der Planungsträger seine Planung trotz der deutlichen Unterschreitung nicht noch einmal überprüft und abgewogen hat, sei der 2 %-Grundsatz des Landesentwicklungsplans nicht hinreichend berücksichtigt. (Zur vergleichbaren Situation in Thüringen berichteten wir – hier -)

Weitere Abwägungsfehler

Weiter Fehler des TPEE sah das VG Wiesbaden in einem fehlerhaften Umgang mit den Natura 2000-Gebieten und der Tatsache, dass auch Räume, für die im Genehmigungsverfahren eine Ablehnung ergangen war, als Potenzialfläche ausgeschlossen wurden. Der Planungsträger habe hierbei fehlerhaft unberücksichtigt gelassen, ob die Ablehnungen bestands- oder rechtskräftig sind.

Keine erhebliche Beeinträchtigung von Denkmälern

Schließlich sah das VG Wiesbaden auch in denkmalschutzrechtlicher Hinsicht keine Bedenken. Zwar befinden sich in der Umgebung des geplanten Windparks verschiedene Denkmäler. Eine erhebliche Beeinträchtigung dieser erkannte das Gericht aber nicht.

Insbesondere betonte es, dass eine erhebliche Beeinträchtigung nicht vorliege, wenn Windenergieanlagen lediglich von einem bestimmten Blickwinkel des Denkmals aus wahrnehmbar sind.  Auch könne man nicht verlangen, dass das Landschaftsbild langfristig so bleibt wie bei Errichtung des Denkmals. Selbst bei Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung würden die Interessen der Erzeugung regenerativer Energien durch das Vorhaben der Klägerin überwiegen.

Fazit und Ausblick

Gerade mit Blick auf die artenschutzrechtliche Ausnahme und die Unwirksamkeit des TPEE für die Region Südhessen stellt das Urteil des VG Wiesbaden eine richtungsweisende Entscheidung dar, die Auswirkungen für viele Windenergieanlagenvorhaben hat. Dieser Bedeutung ist sich das Gericht selbst bewusst. Es hat deshalb die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Entscheidung ist damit noch nicht rechtskräftig. Über die Berufung hat nun der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel zu entscheiden.

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