26.02.2020

BGH-Urteile zur Kundenanlage: Eine Straße macht noch kein öffentliches Netz

Die Kundenanlage ist für dezentrale Versorgungs- und Quartierskonzepte einer der wohl schillerndsten und wirtschaftlich interessantesten Begriffe, sind mit ihrem Vorliegen doch zahlreiche Ausnahmen und Privilegierungen verbunden. So sind Kundenanlagen von der sonst recht umfassenden und strengen Regulierung der Stromversorgung durch das EnWG ausgenommen. Auch fallen innerhalb einer Kundenanlage, gerade weil es sich hierbei nicht um ein öffentliches Netz handelt, netzgekoppelte Strompreisbestandteile nicht an. Schließlich kann das Vorliegen einer Kundenanlage auch für den EEG-Umlage-privilegierten Eigenverbrauch eine entscheidende Rolle spielen.

Gemessen an ihrer Bedeutung besteht indes gegenwärtig noch eine relativ große Rechtsunsicherheit, wenn es darum geht, bestimmte Energieleitungen als Kundenanlage zu qualifizieren. Das liegt zum einen daran, dass der Gesetzgeber die maßgebliche gesetzliche Vorschrift des § 3 Nr. 24a EnWG erst 2012 in das Energiewirtschaftsgesetz aufgenommen hat (den Gesetzesentwurf aus dem Jahr 2011 finden Sie hier). Zum anderen existiert bislang nur ein doch recht überschaubarer Kanon an (höchst-)richterlicher Rechtsprechung hierzu. Die vorhandenen gerichtlichen Entscheidungen befassen sich überdies überwiegend mit den Fragen der Diskriminierungsfreiheit. Vor diesem Hintergrund war das Jahr 2018 sehr ereignisreich für Kundenanlagenbetreiber. Hier hatten die Oberlandesgerichte Düsseldorf (siehe hier) und Frankfurt (siehe hier) drei grundsätzliche Entscheidungen zur Auslegung des Begriffs der Kundenanlage gefällt. Lange musste die Branche allerdings warten, ob und inwiefern diese Judikate auch unter den strengen Augen der Richter in Karlsruhe Bestand haben würden.

Die Entscheidungen des BGH – was lange währt, wird nicht immer gut

Am 11.12.2019 hat der Bundesgerichtshof nunmehr zumindest zwei Revisionsverfahren (Vorinstanz war jeweils das OLG Düsseldorf) verhandelt (wir berichteten hier). Zwischenzeitlich liegen auch die schriftlichen Urteilsgründe vor (EnVR 65/18 und EnVR 66/18). Der BGH verlieh letztlich den Voraussetzungen des Vorliegens einer Kundenanlage erfreulicherweise etwas mehr Konturen.

Der BGH macht in seinen beiden Beschlüssen zunächst darauf aufmerksam, dass es sich bei § 3 Nr. 24 EnWG um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift handelt. Diese Erkenntnis führt im Ergebnis dazu, dass die vier Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen einer Kundenanlage (räumlich zusammenhängendes Gebiet, diskriminierungsfreie Durchleitung, unentgeltliche Nutzung, fehlende Wettbewerbsrelevanz) wohl nicht allzu großzügig gehandhabt werden dürfen.

Der äußere Eindruck ist irrelevant

Soweit es um das Kriterium „räumlich zusammenhängendes Gebiet“ geht, stellt der BGH noch einmal dessen untergeordnete Bedeutung fest. Es handele sich insoweit nur um einen ersten „Grobfilter“. Dieser knüpfe nicht an die räumliche Ausdehnung oder die Einheitlichkeit des äußeren Eindrucks an. Maßgeblich sei vielmehr, inwieweit die räumlichen Verhältnisse einen konkreten Bezug zu den Regulierungszielen aufwiesen. Diese, zugegebenermaßen etwas gestelzt wirkende Formulierung, konkretisiert der BGH dahingehend, dass letztlich eine funktionale Betrachtung vorzunehmen sei. Demnach liege ein räumlich zusammengehörendes Gebiet insbesondere auch dann vor, wenn sich die Kundenanlage über mehrere Grundstücke erstrecke und diese Grundstücke so gut wie ausschließlich über die Kundenanlage versorgt werden. Dies sei insbesondere der dann Fall, wenn Grundstücke aneinander grenzten und nicht verstreut liegen. Dabei sei es unschädlich, wenn ein derart abgegrenztes Gebiet Straßen, ähnlich öffentliche Räume oder vereinzelte, nicht ins Gewicht fallende andere Grundstücke einschließt, die nicht über die Kundenanlage versorgt werden.

Im konkreten Fall hatte der BGH damit 20 Reihenhäuser einer Wohnungseigentümergemeinschaft als Kundenanlage eingestuft (EnVR 66/18). Die übrigen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Kundenanlage waren hier nicht problematisch. Insbesondere wurde diese – woran in der Praxis nicht wenige Konstrukte scheitern – den Verbrauchern diskriminierungsfrei und unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Begrüßenswert an der Entscheidung des BGH ist, dass aufwendige Einzelfallbetrachtungen, die räumliche Gegebenheiten abwägen und gewichten, in Zukunft wohl entbehrlich sein dürften. Vielmehr ist letztlich eine rein versorgungseitige Betrachtung maßgeblich, was zu einem Mehr an Rechtssicherheit führen dürfte.

Weniger ist mehr …

Wesentlich spannender liest sich da allerdings der Beschluss zu EnVR 65/18. Zentraler Streitpunkt war hier das Kriterium der Wettbewerbsrelevanz. Konkret stellte sich die Frage, ab welcher Anzahl von belieferten Verbrauchern/Kunden die Kundenanlage nicht mehr unbedeutend für die Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs ist. Dem BGH lagen hierzu zwei Fälle vor, in denen es um 457 bzw. 515 Wohneinheiten ging. Diese befanden sich auf Gebieten mit einer Größe zwischen 44.631 m² und 53.000 m².

Der BGH stellt hierzu, freilich nicht ohne auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu verweisen, fest: Eine Wettbewerbsrelevanz ist im Regelfall dann anzunehmen, wenn mehrere hundert Letztverbraucher angeschlossen sind, die Anlage eine Fläche von deutlich über 10.000 m² versorgt, die jährliche Menge an durchgeleiteter Energie voraussichtlich 1.000 MWh deutlich übersteigt und mehrere Gebäude angeschlossen sind. Basierend hierauf war die Entscheidung gleichsam vorgezeichnet: Sowohl angesichts der Anzahl der versorgten Wohneinheiten, hier schließt sich der BGH letztlich der Auffassung der Bundesnetzagentur an (vgl. Stellungnahme im Rahmen der Verfahrens vor dem OLG Frankfurt, siehe hier), als auch mit Blick auf die räumliche Ausdehnung der Kundenanlage waren die Grenzwerte des BGH deutlich überschritten.

Auf den Rechenweg kommt es offenbar an!

Dies galt aus Sicht des Gerichts im Ergebnis auch für die durchgeleitete Strommenge. An dieser Stelle scheinen sich OLG Düsseldorf und BGH allerdings hinsichtlich der maßgeblichen Berechnungsparameter erstaunlicherweise nicht ganz einig zu sein. Die Vorinstanz ging noch von Gesamtliefermengen von 1.005 MWh und 1.133 MWh und damit von etwa 2.200 kWh pro Haushalt aus, was durchaus den vom BGH aufgestellten Grenzwert treffen dürfte. Der BGH stellte nun aber fest, die zu erwartende jährliche Menge an durchgeleiteter Energie läge mit 1.483 MWh bzw. 1.672 MWh und damit etwa 3.300 kWh pro Haushalt deutlich über den für zulässig erachteten 1.000 MWh. Wie es zu dieser Diskrepanz kommt, ist hier nicht bekannt. Deutlich wird aber die restriktive Sichtweise, mit der der BGH die Ausnahmevorschrift des § 3 Nr. 24 EnWG beäugt.

Fazit und Ausblick

Bedauerlicherweise dürften die Judikate wohl das Ende so manchen Quartierskonzepts bedeuten. Die enge Auslegung von § 3 Nr. 24a EnWG ist angesichts ihres Ausnahmecharakters der Norm bei Lichte betrachtet indes konsequent. Umso erfreulicher ist, dass die Kundenanlage unter räumlichen Aspekten nicht noch weiter eingeschränkt wurde. Damit bleibt letztlich noch die Revisionsentscheidung zum Urteil des OLG Frankfurt auf die Frage abzuwarten, ob der BGH die ebenfalls sehr restriktiven Feststellungen hinsichtlich der Gestaltung von Strompreisentgelten in einer Kundenanlage mittragen wird. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

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