BVerwG ergänzt „Fahrplan“ zum Habitatschutz
Die Entscheidungsgründe zum Urteil des BVerwG vom 12.09.2025 liegen nunmehr vor. Das Gericht ergänzt darin den „Fahrplan“ für den Habitatschutz und die Natura-2000-Verträglichkeitsprüfung. Zudem trifft das Gericht wichtige Klarstellungen zur Artenschutzprüfung und zu § 6 WindBG. Es lässt aber auch Fragen offen.
Habitatschutz
Habitatschutz grundsätzlich auf Gebietsabgrenzung beschränkt
Für den Habitatschutz knüpft das BVerwG zunächst konsequent an seine mündlichen Aussagen in der Verhandlung am 12.09.2025 an (wir berichteten hier) und betont, dass sich der Habitatschutz flächenmäßig grundsätzlich auf die festgesetzten Schutzgebiete in ihren administrativen Grenzen beschränkt. Das schließe es aus, den Gebietsschutz von Beeinträchtigungen gebietsexterner Flächen über die Gebietsgrenzen hinaus auszudehnen. Deshalb wäre es im Grundsatz verfehlt, gebietsexterne Flächen, die von im Gebiet ansässigen Tierarten zur Nahrungssuche genutzt werden, in den Gebietsschutz einzubeziehen.
Habitatschutz auch bei außerhalb liegenden Projekten zu beachten
Im Weiteren nimmt das BVerwG für den Habitatschutz seine bestehende Rechtsprechung in Bezug. In dieser ist bereits geklärt, dass der Habitatschutz nach § 34 BNatSchG nicht von vornherein außer Betracht bleibt, nur weil sich das konkrete Projekt außerhalb der administrativen Grenzen des betroffenen Schutzgebiets befindet. Das Gericht stellt in diesem Zusammenhang klar: Sind bestimmte Arten als geschützte Bestandteile eines solchen Schutzgebiets betroffen, kann ein rechtlich beachtlicher Kausalzusammenhang gegeben sein, wenn für diese Arten die Erreichbarkeit des Gebiets etwa durch eine Einwirkung auf Flugrouten oder Wanderkorridore gestört wird
Notwendigkeit einer Verträglichkeitsprüfung zur Habitatschutz-Prüfung gegeben
Gemessen an diesen Grundsätzen war aus Sicht des BVerwG für das streitgegenständliche Windenergievorhaben eine förmliche Natura-2000-Verträglichkeitsprüfung erforderlich. Dies begründet das Gericht mit den durch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in der Vorinstanz festgestellten Umstände. Bei Berücksichtigung dieser Umstände könne nicht offensichtlich ausgeschlossen werden, dass die Verwirklichung des Vorhabens das Ziel des Vogelschutzgebiets, Habitate des Rotmilans zu erhalten oder wiederherzustellen, erheblich gefährden könnte.
Bindende Tatsachsenfeststellungen der Vorinstanz ausschlaggebend
Zwar seien die genehmigten WEA außerhalb des Vogelschutzgebiets (ca. 1.350 m) gelegen. Jedoch seien vom OVG Lüneburg in der Vorinstanz mehrere bindende Tatsachenfeststellungen getroffen worden, die zumindest in ihrer Kumulation die Annahme des OVG zutreffend erscheinen ließen, dass vernünftige Zweifel am Ausbleiben erheblicher Beeinträchtigungen für das Vogelschutzgebiet verbleiben.
Klarstellung zum Prüfungsmaßstab für die Vorprüfung
Auch wenn es wegen der bejahten Notwendigkeit einer Natura-2000-Verträglichkeitsprüfung nicht entscheidungserheblich war, sah sich das BVerwG aufgrund der zumindest irritierenden Aussagen in den Urteilsgründen des OVG Lüneburg zudem zur einer Klarstellung für den Prüfungsmaßstab bei der Vorprüfung veranlasst.
Insoweit wies das BVerwG darauf hin, dass im Rahmen der Vorprüfung die Heranziehung des im Artenschutzrecht entwickelten Maßstabs einer signifikanten Erhöhung des Tötungs- und Verletzungsrisikos zur Beurteilung der Gefahr einer Beeinträchtigung von Natura 2000-Gebieten sachgerecht sein kann.
Artenschutz – Tatsachen zum Genehmigungszeitpunkt entscheidend
Zum Artenschutz stellt das BVerwG in seinem Urteil genauso deutlich wie in der mündlichen Verhandlung klar, dass die artenschutzrechtliche Prüfung auf die im Zeitpunkt der Genehmigungsentscheidung vorhandenen naturräumlichen Gegebenheiten beschränkt ist. Das OVG hatte in der Vorinstanz die Auffassung geäußert, dass auch sehr wahrscheinliche zukünftige Entwicklungen bei der Prüfung der Artenschutzverbote zu berücksichtigen seien. Dieser Annahme erteilt das BVerwG in seinem Urteil eine eindeutige Absage.
§ 6 WindBG zeitlich nicht anwendbar
Das BerwG befasst sich auch mit Fragen der zeitlichen Anwendung von § 6 WindBG. Für das vorliegende Windenergievorhaben konnten seiner Auffassung nach die Erleichterungen des § 6 WindBG nicht genutzt werden.
Genehmigung war bereits erteilt
§ 6 WindBG sei hier auch freiwillig nicht zeitlich anwendbar, da die Anwendung von § 6 WindBG erst begehrt wurde, nachdem die streitgegenständliche Genehmigung in Form eines Teilabhilfebescheides im Widerspruchsverfahren bereits ergangenen war.
Entscheidung über die Genehmigung als „endgültige Entscheidung“
Die „endgültige Entscheidung“ i. S. d. § 6 Abs. 2 S. 3 WindBG, bis zu der die Anwendung von § 6 WindBG verlangt werden konnte, sei aber eben diese Genehmigung. Auf die Bestandskraft einer Genehmigung – gegebenenfalls erst nach Abschluss eines (mehrinstanzlichen) gerichtlichen Verfahrens – komme es demgegenüber nicht an. Diese Auffassung leitet das BVerwG in erster Linie aus den Vorgaben der dem § 6 WindBG zugrunde liegenden EU-Notfallverordnung ab.
Rechtslage bei Widerspruchsverfahren weiter unklar
Nicht hinreichend klar geht aus den Urteilsgründen hervor, wie sich das BVerwG positioniert hätte, wenn sich das Verfahren zum Zeitpunkt des getätigten Begehrens um Anwendung des § 6 WindBG noch im Widerspruchsverfahren befunden hätte. Wäre § 6 WindBG auch dann nicht anwendbar, weil die Entscheidung über die Genehmigung im Ausgangsverfahren die „endgültige Entscheidung“ ist? Oder wäre das dann erst die Entscheidung über den Widerspruch als letzte behördliche Entscheidung?
Fazit
Das BVerwG hat in seiner Entscheidung wichtige höchstrichterliche Ergänzungen im „Fahrplan“ zum Habitatschutz und zur Natura-2000-Verträglichkeitprüfung vorgenommen. Nun bleibt abzuwarten, ob Behörden und Gutachter sich hiermit sicherer und zügiger durch die Verträglichkeitsprüfungen bzw. Vorprüfungen gerade für Projekte außerhalb der Schutzgebiete bewegen.
Ebenso ist zu begrüßen, dass das BVerwG den in der Vorinstanz angenommenen Ausweitungen für die Artenschutzprüfung deutlich entgegengetreten ist. Allerdings hat das BVerwG in diesem Zusammenhang im Anschluss an sein viel diskutiertes Urteil zu nachträglichen Fledermausabschaltungen die dauerhaften Betreiber- und Überwachungspflichten erneut betont.
Für den zeitlichen Anwendungsbereich des § 6 WindBG klärt das Urteil höchstrichterlich, dass die freiwillige Anwendung von § 6 WindBG erst in einem gerichtlichen Verfahren oder anlässlich eines gerichtlichen Verfahrens gegen eine bereits erteilte Genehmigung nicht mehr möglich ist. Unklar bleibt hingegen weiter, ob § 6 WindBG anwendbar ist, wenn ein solches Begehren bereits in einem Widerspruchsverfahren gegen eine Genehmigung oder zum Erhalt einer Genehmigung geäußert wurde.