Update: Corona & Windenergie – Teil 1: Genehmigungsverfahren
Erfreulicherweise hat sich nun auch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) zur Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung in Corona-Zeiten geäußert. Das BMU hat hierzu am 03.04.2020 ein Schreiben an die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Immissionsschutz (LAI) verfasst (abzurufen hier).
In diesem werden die bereits in unserer Meldung vom 02.04.2020 (siehe unten) aufgezeigten Probleme bei der Öffentlichkeitsbeteiligung im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren behandelt. Schwerpunkte des Schreibens sind die möglichen Probleme bei der öffentlichen Auslegung der Antragsunterlagen sowie der Durchführung eines Erörterungstermins.
Vorschläge des BMU
Das BMU bestätigt dabei im Ergebnis unsere Vorschläge zum Umgang mit der öffentlichen Auslegung. Auch das BMU macht deutlich, dass die ausschließliche Auslegung der Antragsunterlagen im Internet im Zweifel europarechtswidrig wäre. Auf eine „körperliche“ Auslegung kann daher auch in Corona-Zeiten nicht verzichtet werden. Gleichzeitig schlägt das BMU ebenfalls vor, dass über eine telefonische Terminvereinbarung mit den Behörden vor Ort die Einsicht in die ausgelegten Unterlagen vor Ort realisiert werden könnte.
Schließlich verweist das BMU ebenfalls darauf, dass die Durchführung eines Erörterungstermins nach § 10 Abs. 6 BImSchG eine Ermessensentscheidung ist. Dabei stellt es klar, dass sowohl der Verzicht als auch die Absage von bereits angesetzten Erörterungsterminen aus gesundheitlichen Gründen ermessensfehlerfrei wäre.
Sowohl den Antragstellern als auch den Genehmigungsbehörden werden mit dem Schreiben des BMU wichtige Gestaltungspielräume für zukünftige Öffentlichkeitsbeteiligungen aufgezeigt. Das BMU schlägt allerdings keine Lösungen zu Fragen der Fehlerhaftigkeit oder Nachholung bereits veröffentlichter Bekanntmachungen vor. Bereits vergangene oder laufende Öffentlichkeitsbeteiligungen seit Anfang März sollten demnach genau überprüft werden.
Meldung vom 02.04.2020
Für viele Projektierer und Behörden stellt sich aktuell die Frage, welche Auswirkungen die Corona Krise auf die gesetzlich vorgeschriebenen Termine und Fristen im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren haben wird. Hierzu zählen neben der Behördenbeteiligung vor allem (bereits laufende) Öffentlichkeitsbeteiligungen im förmlichen Genehmigungsverfahren einschließlich Erörterungstermine.
Im Folgenden zeigen wir auf, welche Fragen und Probleme auf die Projektierer und Immissionsschutzbehörden und – in letzter Konsequenz – wohl auch auf die Verwaltungsgerichte zukommen werden und wie man mit diesen in Zeiten von Corona umgehen kann.
Öffentlichkeitsbeteiligung ohne öffentliches Leben – geht das?
Gemäß § 10 Abs. 3 S. 2 BImSchG i.V.m. § 10 Abs. 1 9. BImSchV ist im Rahmen eines förmlichen Genehmigungsverfahrens eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen. Hierfür hat die Genehmigungsbehörde nach Vollständigkeit der Unterlagen das Vorhaben bekanntzumachen. Eine Woche nach der Bekanntmachung beginnt in den meisten Fällen die Auslegungsfrist (§ 9 Abs. 2 HS 1 9. BImSchV). An die öffentliche Auslegung sind dabei erhöhte Anforderungen zu stellen. Diese sind gem. § 10 der 9. BImSchV zunächst bei der Genehmigungsbehörde und, soweit erforderlich, einer geeigneten Stelle in der Nähe des Standortes auszulegen. Bei UVP-pflichtigen Vorhaben sind die Unterlagen auch in den Gemeinden auszulegen, in denen sich das Vorhaben voraussichtlich auswirkt. Zusätzlich zur „körperlichen“ Auslegung bedarf es bei UVP-pflichtigen Vorhaben einer Zugänglichmachung der Unterlagen im zentralen UVP-Portal.
Durch die Öffentlichkeitsbeteiligung ist den Bürgern vor Ort die Möglichkeit eröffnet, einen Einblick in die Genehmigungsunterlagen zu erhalten. Sie sollen so nachvollziehen können, ob sie möglicherweise durch das Vorhaben betroffen sind. Zugleich soll ihnen ermöglicht werden, Einwände gegen das Vorhaben vorzubringen. Die Öffentlichkeitsbeteiligung zielt auf die Transparenz im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren sowie auf die Wahrung der Rechte von Betroffenen ab. Ein Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften zur Öffentlichkeitsbeteiligung kann im Zweifel damit auch zu einem Verstoß gegen subjektive Rechte der Betroffenen führen. Das kann schließlich zur Rechtswidrigkeit der nach Abschluss des fehlerhaften Verfahrens erteilten Genehmigung führen.
Problem
Die derzeit vorherrschenden, gesamtgesellschaftlichen Einschränkungen durch die Corona-Krise führen allerdings dazu, dass die Möglichkeit der Einsichtnahme in bereits ausliegende Unterlagen massiv eingeschränkt ist. Dies resultiert zum einen daraus, dass die Gemeinden oder Behörden veränderte Öffnungszeiten haben oder als öffentliche Einrichtungen gar insgesamt für den Publikumsverkehr geschlossen sind. Zudem stellt sich die Frage, ob es sich bei der Einsichtnahme in Unterlagen eines Genehmigungsverfahrens um einen „triftigen Grund“ im Sinne der geltenden Allgemeinverfügungen handelt. Die meisten potenziell Betroffenen werden angesichts der drohenden Anzeigen oder Bußgelder einen Verstoß gegen die Allgemeinverfügung wohl nicht riskieren wollen. Dabei reicht es aus, dass bereits ein potenziell Betroffener von der Einsichtnahme und damit von dem möglichen Vortrag seiner Einwendungen abgehalten wird, um eine Verfahrensfehler herbeizuführen.
Mögliche Lösungsansätze
Der ausschließliche Verweis auf das zentrale Internetportal zur Einsichtnahme kann wohl keine Lösung darstellen. Denn zum einen gilt dies nur für UVP-pflichtige Vorhaben (diese werden sich zwar in der Mehrheit der Fälle mit den Vorhaben eines förmlichen Verfahrens überschneiden, aber eben auch nicht immer). Zum anderen sehen die gesetzlichen Verfahrensvorschriften explizit eine Offenlage vor Ort vor. Auch kurzfristig erlassene Rechtsverordnungen oder Gesetzesänderungen werden hier keine rechtssichere Situation herbeiführen. Denn bei den Verfahrensvorschriften zur Öffentlichkeitsbeteiligung handelt es sich mehrheitlich um unionsrechtliche Vorgaben. Eine Abkehr des Gesetzgebers von den unionsrechtlichen Vorgaben „im Alleingang“ erscheint daher schwierig.
Ausnahmeregelungen in Zeiten von Corona?
Eine Variante ist, dass die zuständigen Behörden eine Einsichtnahme nach telefonischer Vorankündigung und unter Einhaltung der besonderen Vorgaben ermöglichen. Besondere Risikogruppen sind an dieser Stelle bereits auf die Möglichkeit der Einsichtnahme im Internet zu verweisen und ihr Anruf aktenkundig zu machen. Auch eine Verlängerung der Auslegungsfrist für bereits laufende Öffentlichkeitsbeteiligungen ist für uns denkbar.
Problematisch ist in solchen Fällen aber auch, dass die Bekanntmachung nach § 9 der 9. BImSchV bestimmten Vorgaben entsprechen muss. Hierzu gehören unter anderem Angaben zum ersten und letzten Tag der Auslegungs- und Einwendungsfrist sowie eine Angabe, wann und wo der Antrag zur Einsicht ausgelegt ist. Im Zweifel ist damit der Bekanntmachungstext aber fehlerhaft, sollte in der laufenden Öffentlichkeitsbeteiligung über eine Verlängerung oder kurzfristige Änderung der Einsichtnahme entschieden werden. Hier wird es auf den konkreten Einzelfall ankommen, ob eine erneute Bekanntmachung sinnvoll oder notwendig ist. Projektierer mit bevorstehenden, laufenden und vor kurzem abgeschlossener Öffentlichkeitsbeteiligungen sollten sich daher dringend beraten lassen, welche Schritte bereits jetzt unternommen werden können um das Genehmigungsverfahren nicht zu verzögern.
Schließlich werden sich die Gerichte im Zusammenhang mit Corona nicht zuletzt mit der Frage beschäftigen müssen, ob höhere Gewalt dazu führen kann, dass potenziellen Einwendern eine bestimmte Art der Einsichtnahme verwehrt bleiben musste. Im Ergebnis dürfen die derzeitigen Umstände nämlich auch nicht zulasten des Antragstellers gehen. Denn dieser hat ebenfalls ein berechtigtes Interesse an einer zügigen Durchführung des Genehmigungsverfahrens.
Bereits angesetzte Erörterungstermine
Die rechtlichen Unsicherheiten bei der Fortführung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren betrifft nicht nur die Auslegung der Unterlagen, sondern auch den Erörterungstermin nach § 10 Abs. 6 BImSchG. Zweck des Erörterungstermins ist es nach § 14 Abs. 1 der 9. BImSchV, dass die Einwender ihre erhobenen Einwendungen erläutern können. Problematisch wird dies nun, da grundsätzlich öffentliche Veranstaltungen verboten sind. Zwar sind beispielsweise in Sachsen Veranstaltungen der Behörden des Freistaates Sachsen vom Verbot ausgenommen (Allgemeinverfügung v. 31.03.2020), für Risikogruppen kommt allerdings eine Teilnahme am Erörterungstermin nach diesseitiger Auffassung unter keinen Umständen in Frage.
Ein Ausweg ist hier, kritisch zu prüfen, ob ein Erörterungstermin überhaupt stattfinden muss. Gem. § 10 Abs. 6 BImSchG kann die zuständige Behörde die Einwendungen mit dem Antragsteller und denjenigen, die Einwendungen erhoben haben, erörtern. Allerdings handelt es sich hierbei um eine Ermessensentscheidung der Behörde. Die Durchführung eines Erörterungstermins ist im Genehmigungsverfahren folglich nicht zwingend. Zudem findet nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 der 9. BImSchV ein bereits in der Bekanntmachung angekündigter Erörterungstermin nicht statt, wenn die erhobenen Einwendungen nach Einschätzung der Behörde keiner Erörterung bedürfen.
Projektierer sollten sich daher auch hier beraten lassen, ob die Voraussetzungen eines solchen Terminentfalls vorliegen. Denn eben dies könnte nicht absehbare Verzögerungen im Genehmigungsverfahren verhindern.