Paukenschlag aus Karlsruhe – Klimaschutzgesetz teilweise verfassungswidrig
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem heute veröffentlichten Beschluss vom 24.03.2021 das Klimaschutzgesetz für teilweise verfassungswidrig erklärt (abrufbar hier). Danach sind die Regelungen des Klimaschutzgesetzes vom 12.12.2019 (abrufbar hier) über die nationalen Klimaschutzziele und die bis zum Jahr 2030 zulässigen Jahresemissionsmengen mit den Grundrechten unvereinbar, da hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab 2031 fehlen.
Beschwerdegegenstand
Das Klimaschutzgesetz sieht unter anderem die Minderung der Treibhausgasemissionen um mindestens 55 % bis zum Jahr 2030 im Vergleich zu 1990 vor. Dafür sind verschiedene zulässige Jahresemissionsmengen für verschiedene Sektoren bis 2030 festgelegt. Weitere Mengen für Zeiträume nach 2030 sind nicht enthalten, hingegen sollen diese nach den Vorgaben des Klimaschutzgesetzes 2025 in einer eigenen Verordnung durch den Bundesgesetzgeber geregelt werden.
Rügen der Beschwerdeführer
Hiergegen hatten verschiedene Klimaschützer (unter anderem Aktivisten von Fridays for future sowie der Solarenergie-Förderverein e.V.) Verfassungsbeschwerde erhoben. Die Beschwerdeführer rügten, dass der Gesetzgeber im Klimaschutzgesetz keine ausreichenden Regelungen zu alsbaldigen Reduktion von Treibhausgasen unternommen habe. Dies sei aber erforderlich, um die Klimaerwärmung bei einem Wert von 1,5°C, mindestens aber deutlich unter 2°C anzuhalten. Die Beschwerdeführer leben teilweise in vom Klimawandel besonders betroffenen Ländern wie Bangladesch und Nepal. Sie stützen die Verfassungsbeschwerde „auf grundrechtliche Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und aus Art. 14 Abs. 1 GG, auf ein Grundrecht auf menschenwürdige Zukunft und ein Grundrecht auf das ökologische Existenzminimum, welche sie aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20a GG und aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG ableiten“.
Gerichtliche Erwägungen
Das Bundesverfassungsgericht gab den Verfassungsbeschwerden der natürlichen Personen teilweise statt, diejenigen der Umweltverbände wurden mangels Beschwerdebefugnis als unzulässig verworfen.
Soweit den Beschwerden stattgegeben wurde, sei zwar erkennbar, dass der Gesetzgeber ersichtlich das (ggf. langfristige) Ziel der Klimaneutralität verfolge und dem Klimawandel auch nicht „freien Lauf“ lasse. Allerdings führt die aktuelle Ausgestaltung der Treibhausgasminderungsstufen bis 2030 u.a. dazu, dass späteren Generationen nach 2030 nur noch geringe Spielräume für Emissionen verbleiben, will man im Einklang mit den Pflichten des Art. 20a GG bleiben. Dies hat zur Folge, dass nach 2030 lebende Generationen deutlich freiheitsbeeinträchtigendere Maßnahmen hinnehmen müssten, als es heute erforderlich wäre. Dies führe zu einer faktischen – freiheitsentziehenden – Vorwirkung heutiger Treibhausgasminderungsstufen für künftige Generationen. Daher seien die Regelungen zur Treibhausgasminderung insofern unverhältnismäßig, als sie nicht die nach Art. 20a GG notwendigen CO2-Reduktionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit verteilen.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber nunmehr aufgegeben, das Klimaschutzgesetz bis spätestens 31.12.2022 zu überarbeiten. Bis dahin müssen unter Berücksichtigung der gerichtlichen Erwägungen die Minderungsziele für Zeiträume ab 2031 fortgeschrieben werden.
Verpflichtung gegenüber künftigen Generationen
Besonders eindrücklich sind dabei diese Leitsätze des Gerichtes:
„Art. 20a GG ist eine justiziable Rechtsnorm, die den politischen Prozess zugunsten ökologischer Belange auch mit Blick auf die künftigen Generationen binden soll.
Das Grundgesetz verpflichtet unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen. Subjektivrechtlich schützen die Grundrechte als intertemporale Freiheitssicherung vor einer einseitigen Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft. Auch der objektivrechtliche Schutzauftrag des Art. 20a GG schließt die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten.
Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten. Konkret erfordert dies, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die für die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln.“
Was bedeutet es aber?
Es zeigt sich, der Umgang mit dem Klimawandel ist nicht nur Tagesgeschäft, sondern auch Generationenprojekt. Zu Recht weist das BVerfG darauf hin, dass heutige Generationen verantwortlich dafür sind, wie künftige Generationen leben können. Und, dass künftige Generationen schon heute ein Recht darauf haben, ihre künftigen Freiheiten gewahrt zu wissen. Eine Erkenntnis, die nicht nur Eltern und Großeltern haben sollten. Das bedeutet aber eben auch, dass wir heute nicht aus Bequemlichkeit alle Lasten in die Zukunft verschieben können – und nun auch nicht mehr dürfen!
In diesem Zusammenhang reiht sich die Entscheidung des BVerfG nicht nur in die Reihe kürzlich ergangener internationaler höchstrichterlicher Rechtsprechung zur länder- und kontinentübergreifenden Verantwortlichkeit von Staaten und Unternehmen für klimawandelbedingte Schäden. Sie geht vielmehr mit der Formulierung „intertemporaler Freiheitssicherung von Grundrechten“, also der heutigen Pflicht zum Schutz der Freiheitsrechte künftiger Generationen durch das Ergreifen zumutbarer Maßnahmen, deutlich darüber hinaus.
Spannend wird es, wenn dieser Gedanke beginnt, vom „fernen“ Karlsruhe bis in die tägliche Lebenswirklichkeit jedes Einzelnen durchzusickern. Wenn jeder Einzelne heute zumutbare Maßnahmen ergreifen muss, um auch den künftigen Generationen ein zumutbares Leben in Freiheit zu ermöglichen, können bzw. dürfen wir es uns dann leisten, nur aus Bequemlichkeit jede Belastung, die uns der Kampf gegen den Klimawandel auferlegt, empört zurückzuweisen? Jede Windenergieanlage zu verdammen, sobald sie in unserer eigenen Gemeinde geplant wird? Können Regelungen wie die bayerische 10-H-Vorschrift (wir berichteten hier) oder der in Entstehung begriffene 1.000m-Abstand in NRW dann wirklich Bestand haben?