Neuer „Leitfaden Artenschutz an Windenergieanlagen in Sachsen-Anhalt“ auf dem Prüfstand
Das Ministerium für Umwelt, Landschaft und Energie des Landes Sachsen-Anhalt hat Ende letzten Jahres den neuen „Leitfaden Artenschutz an Windenergieanlagen in Sachsen-Anhalt“ vorgestellt.
Schwerpunkt des Leitfadens ist die artenschutzrechtliche Prüfung auf Regionalplan- und Flächennutzungsplanebene und im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren von Windenergieanlagen. Die Vorgaben des Leitfadens insbesondere zum naturschutzrechtlichen Flächenschutz sind allerdings äußerst kritisch zu hinterfragen.
Naturschutzrechtliche Grundlagen für Flächenschutz – wann anzuwenden?
Der „Leitfaden Artenschutz an Windenergieanlagen in Sachsen-Anhalt“ gibt unter Bezugnahme auf den Flächenschutz bestimmte Flächen vor, auf denen der Errichtung von Windenergieanlagen aufgrund eines erhöhten Schlagopferrisikos grundsätzlich nicht stattzugeben sei. Hierzu gehören neben Wäldern und Flächen an Waldrändern auch Flächen in einem Radius von 1.000 m um Fledermaus-Quartiere sowie die Hauptflugkorridore zwischen Schlaf- und Nahrungsplätzen von Zug- und Greifvögeln. Nach dem Leitfaden sind innerhalb dieser Bereiche die Errichtung von WEA als nicht zulässig anzusehen. Ob diese Vorgaben nun für das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren oder nur für die Regional- und Bauleitplanung heranzuziehen sind, ergibt sich nicht zweifelsfrei aus dem Leitfaden. Es bedarf daher einer Klarstellung, da bereits einige Behörden in Sachsen-Anhalt die Vorgaben im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren anwenden möchten. In jedem Fall begegnen den Vorgaben jedoch rechtliche Bedenken. Denn:
Keine naturschutzfachliche Rechtfertigung für den geforderten Flächenschutz
Auf den Flächen, die nach den Artenschutzleitfaden freigehalten werden sollen, stehen der Windenergienutzung nicht zwingend rechtliche oder tatsächliche Gründe entgegen. Gerade die Herausnahme von Waldflächen und Flächen in der Nähe von Waldrändern entbehrt einer naturschutzfachlichen Rechtfertigung. So ist es in anderen Bundesländern gängige Praxis, dass Windenergieanlagen im Wald errichtet werden. Ob tatsächlich ein erhöhtes Schlagopferrisiko besteht, ist regelmäßig im Rahmen eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens zu prüfen. Es bedarf damit zwingend einer naturschutzfachlichen Einzelfallbetrachtung des jeweiligen Standortes. Ein pauschaler Hinweis auf die Nähe geplanter Standorte zu Wäldern reicht nicht aus, um ein (artenschutzrechtliches) Genehmigungshindernis zu rechtfertigen.
Der einzuhaltende Abstand von „Nabenhöhe plus Rotorradius“ zum Waldrand wurde völlig willkürlich gewählt . Denn dies bedeutet, dass kleinere Anlagen näher an den Waldrand „heranrücken“ dürfen als größere Anlagen. Allerdings steht die Höhe der Anlagen in keinem Verhältnis zu einem möglichen Schlagopferrisiko an den Standorten. Es ist somit nicht erforderlich, dass große Anlagen weiter entfernt stehen als kleine Anlagen. Im Gegenteil erreichen nur wenige Arten derartige Höhen, dass an großen Anlagen überhaupt ein Schlagopferrisiko droht. Dies gilt auch für das im „Leitfaden Artenschutz an Windenergieanlagen in Sachsen-Anhalt“ geforderte Freihalten von Flächen um Fließ- und Standgewässer.
Außerdem kann auch bei der Errichtung von Windenergieanlagen innerhalb eines Radius von 1.000 m um Quartiere von windkraftempfindlichen Fledermausarten und im Hauptflugkorridor von Kranichen, Schwänen, Gänsen und Greifvögeln nicht pauschal von einem erhöhten Schlagopferrisiko ausgegangen werden. Vielmehr bedarf es hier zwingend einzelfallspezifischer Betrachtungen im Genehmigungsverfahren. Zudem kommen auch Vermeidungsmaßnahmen in Betracht, um ein Schlagopferrisiko zu verringern und die Windenergienutzung innerhalb der genannten Flächen zu ermöglichen. Dieses Vorgehen ist gängige Verwaltungspraxis und von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bundesweit anerkannt.
„Leitfaden Artenschutz an Windenergieanlagen in Sachsen-Anhalt“ – Bindungswirkung im Genehmigungsverfahren?
Gesetzt dem Fall, dass der „Leitfaden Artenschutz an Windenergieanlagen in Sachsen-Anhalt“ und die geforderte Freihaltung von Flächen im Genehmigungsverfahren Anwendung finden, so überschreitet dies alle bisher gesetzten Maßstäbe in der Erlasslage der Bundesländer. Es ist weiter zu beachten, dass der Erlass keine Außenwirkung entfaltet. Von diesem geht lediglich eine interne Bindungswirkung für die Genehmigungsbehörden aus. Es ist zudem fraglich, auf welchen fachwissenschaftlichen Erkenntnissen die Forderungen im Artenschutzleitfaden beruhen. Denn um als „antizipiertes Sachverständigengutachten“ herangezogen werden zu können, müssten die Forderungen aus dem Leitfaden zumindest fachwissenschaftlich gerechtfertigt sein. Eine solche fachwissenschaftliche Begründung für den geforderten Flächenschutz ergibt sich aus dem Leitfaden nicht. Im Genehmigungsverfahren muss der Anwendung des Leitfadens deshalb auf jeden Fall argumentativ begegnet werden. Im Zweifel bedarf es dabei sogar einer gerichtlichen Überprüfung.
Fazit
Die im Artenschutzleitfaden geforderte Freihaltung von Flächen wegen artenschutzrechtliche Belange bedarf einer fachlichen Rechtfertigung, die jedenfalls bei den oben genannten Beispielen keinesfalls pauschal angenommen werden kann. Vielmehr muss in den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren von „betroffenen“ Standorten weiterhin eine einzelfallspezifische, fachgutachterliche Untersuchung erfolgen, ob der Genehmigungsfähigkeit der Anlagen an den Standorten tatsächlich artenschutzrechtliche Verbote entgegenstehen würden. Der Leitfaden sieht allerdings weder eine einzelfallspezifische Betrachtung noch Ausnahmen vor. Zudem ist nicht klar erkennbar, ob die geforderte Freihaltung der Flächen unmittelbar für das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren gilt. Sollte dies der Fall sein und die Genehmigungsbehörde sich bei der Flächenfreihaltung an den neuen „Leitfaden Artenschutz an Windenergieanlagen in Sachsen-Anhalt“ gebunden sehen, obwohl kein Schlagopferrisiko besteht, ist dringend Handlungsbedarf geboten.