Neues Eckpunktepapier zum Ausbau der Windenergie
Robert Habeck und Steffi Lemke haben heute (4.4.2022) das neue Eckpunktepapier zum Ausbau der Windenergie an Land vorgestellt (Pressemeldung hier). Kern des Ganzen ist die Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der Windenergie. Mit diesem Eckpunktepapier sollen die bestehenden Zielkonflikte zwischen dem Artenschutz und der Energiewende, speziell der Windenergie gelöst werden.
Hintergrund
Bekanntermaßen hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, den Anteil an Erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch bis 2030 auf mindestens 80 % und bis 2035 auf 100% zu erhöhen. Die Klimaneutralität soll bis 2045 erreicht sein. Neben den schon angekündigten und zum Teil schon umgesetzten gesetzlichen Änderungen bezüglich des Tempos bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren für Erneuerbare Energien haben sich die zuständigen Ministerien (Bundesministerium für Umweltschutz, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz und Bundesministerum für Wirtschaft und Klimaschutz) nunmehr auch auf Eckpunkte zur Vereinbarkeit mit dem Artenschutz verständigt. Zentraler Baustein soll dabei eine vereinfachte, schnellere und effizientere artenschutzfachliche Prüfung sein.
Standardisierte Signifikanzprüfung
Dazu soll das BNatschG angepasst werden. Das Eckpunktepapier sieht vor, dass es bundeseinheitliche gesetzliche Standards geben soll. Diese Standards dienen der Prüfung, ob sich durch die Errichtung einer WEA das Tötungs- und Verletzungsrisiko kollisionsgefährdeter Vögel signifikant erhöht. Mit diesen Standards werden für die Genehmigungsbehörden klare und verbindliche Bewertungskriterien festgelegt. Hierzu sollen zukünftig die folgenden Bewertungsmaßstäbe gelten:
Abschließende bundeseinheitliche Liste kollisionsgefährdeter Brutvogelarten
Das Eckpunktepapier enthält in der Anlage bereits eine entsprechende Liste. In dieser werden die Brutvogelarten sowie die Tabu- und Prüfbereiche festgelegt. In den Prüfbereichen gilt die Regelvermutung, dass die Signifikanzschwelle überschritten ist. Diese Regelvermutung kann auf Grundlage einer bundeseinheitlichen Habitatpotenzialanalyse widerlegt werden. Hiernach wird schon deutlich, dass die in einer Vielzahl von Fällen bislang erforderliche Raumnutzungsanlayse entfällt. Sofern dies im Einzelfall für sinnvoll erachtet wird, kann der Antragsteller die Durchführung der Raumnutzungsanalyse beantragen.
Außerhalb der Prüfbereiche sollen zukünftig keine weiteren Prüfungen mehr erfolgen, weil das Tötungsrisiko dort nicht mehr signifikant erhöht ist. Zudem müssen außerhalb der Bereiche keine Vermeidungsmaßnahmen mehr ergriffen werden.
Liste artspezifischer Vermeidungsmaßnahmen
Zudem soll es eine Liste von artspezifischen Vermeidungsmaßnahmen geben. Hierin sollen z.B. Antikollisionssysteme, Abschaltungen durch Bewirtschaftung im nahen Umfeld und artspezifische Verhaltensmuster berücksichtigt werden. Weitere, darüber hinausgehende saisonale oder brutzeitbezogene Abschaltungen soll es zukünftig nicht mehr geben.
Zumutbarkeitsschwelle für Antragsteller
Außerdem soll eine Zumutbarkeitsschwelle für den Antragsteller festgelegt werden. Diese soll regeln, bis zu welcher Summe Vermeidungsmaßnahmen zu akzeptieren sind und ab wann der Antragsteller eine Ausnahme beantragen soll. Nach dem Willen der beiden Ministerien liegt die Zumutbarkeit in der Regel bei sechs Prozent der jährlichen Erzeugung. An besonders windhöffigen Standorten (ab 100% des Referenzertrags) können im Einzelfall auch Ertragsverluste von bis zu acht Prozent zumutbar sein. Die mögliche Überschreitung wird zukünftig durch eine Prognose im Genehmigungsverfahren bestimmt. Abschaltungsbezogene Vermeidungsmaßnahmen sollen zukünftig nur noch ausnahmsweise und nur in begrenzten Umfang zulässig sein.
Wichtig ist, dass die vorstehend aufgezeigten Regelungen abschließend sind. Die Länder haben keine Kompetenz hiervon abweichende Regelungen zu erlassen. Die beiden Ministerien haben sich selbst auferlegt, die kollisionsgefährdeten Brutvogelarten, die Abstände und die entsprechenden Vermeidungsmaßnahmen alle drei Jahre zu evaluieren und zu aktualisieren.
Artenschutzrechtliche Ausnahme
Auch werden die Regelungen zur artenschutzrechtlichen Ausnahme konkretisiert. Die Behörden sollen zukünftig dann kein Ermessen mehr haben, wenn die Voraussetzungen zur Erteilung der Ausnahme vorliegen.
Erneuerbare Energien als überragendes öffentliches Interesse
Wie bereits der geplanten EEG-Novelle im Osterpaket (lesen Sie hier) zu entnehmen ist, werden die Erneuerbaren Energien zukünftig als überragendes öffentliches Interesse eingeordnet, welche der öffentlichen Sicherheit dienen. Vor diesem Hintergrund liegt der Ausnahmegrund in der Regel vor.
Konkretisierung der Alternativenprüfung
Auch die Alternativenprüfung wird konkretisiert und es werden Regelvermutungen aufgestellt.
Standortalternativen?!
In für Windenergie ausgewiesenen Gebieten (oder denen die als solche ausgewiesen werden sollen) ist regelmäßig davon auszugehen, dass die durchgeführten Planverfahren bereits eine Auswahl der am besten geeigneten Standorte getroffen haben. Dabei soll der Natur- und Artenschutz abschließend berücksichtigt worden sein. Ergebnis dessen ist, dass es keine Standortalternativen mehr gibt, solange die Flächenziele nicht erreicht sind.
Für die Gebiete, in denen noch keine Planung vorliegt, sollen die Anforderungen an die Alternativenprüfung gesetzlich präzisiert werden.
Verschlechterung des Erhaltungszustands der Population einer Art
Zukünftig wird vermutet, dass kein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot vorliegt, wenn für die betreffende Art zu erwarten ist, dass der Zustand der Population einen positiven Trend aufweist oder sich zumindest bundesweit nicht verschlechtert. Voraussetzung soll sein, dass in ein für diese Art bestehendes Artenhilfsprogramm eingezahlt wird. Diese Vermutung gilt auch dann, wenn der Nachweis geführt werden kann, dass das Vorhaben die lokale Popularität nicht verschlechtert (ggf. unter Beachtung von FCS-Maßnahmen oder Zahlungen in die Artenhilfsprogramme).
Für einen Übergangszeitraum von drei Jahren soll für die Bestimmung des Erhaltungszustandes zunächst auf vorhandene Erkenntnisse abgestellt werden. Parallel werden regelmäßig Daten zur Bestandsentwicklung dieser Arten erhoben und den Genehmigungsbehörden zugänglich gemacht.
Nachträgliche Anordnungen und Nisthilfen
Im Eckpunktepapier wird klargestellt, dass nachträgliche Anordnungen nur in Ausnahmefällen und nur unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Zumutbarkeit für den Anlagenbetreiber möglich sind.
Nisthilfen für windenergiesensible Vogel- und Fledermausarten sind im definierten Nahbereich um bestehende Windenergieanlagen und auf für WEA in Raumordnungs- oder Bauleitplänen ausgewiesenen Flächen unzulässig.
Repowering
Die Regelungen des § 16b BImSchG sollen in das BNatSchG überführt und präzisiert werden.
Landschaftsschutzgebiete
Durch das Eckpunktepapier sollen die Landschaftsschutzgebiete zukünftig stärker in den Fokus rücken. LSG sollen bei der Planung vollumfänglich betrachtet werden und Gebiete für die Windenergie dort verstärkt ausgewiesen werden. Soweit dies planerisch vorgesehen ist, sollen innerhalb der LSG künftig WEA bereits zugelassen werden können. Zusätzliche Ausnahmen nach den jeweiligen Landschaftsschutzgebietsverordungen oder eine Befreiung nach § 67 BNatSchG soll dann nicht mehr erforderlich sein. Aschließend macht das Eckpunktepapier deutlich, dass bis zur Erreichung der Flächenziele WEA innerhalb von LSG auch zulässig sein sollen, wenn sie außerhalb von für Windenergie ausgewiesenen Gebieten liegen, solange es sich bei diesen Gebieten nicht zugleich um Natura-2000-Gebiete oder Weltkultur- und Weltnaturerbeflächen handelt.
Wir halten Sie über die genauen Änderungen in den betreffenden Gesetzen auf dem Laufenden.