OVG Lüneburg: Rechtsschutz trotz Erreichen der WindBG Flächenbeitragswerte!
Das OVG Lüneburg hat auf einen Normenkontrollantrag hin einen Flächennutzungsplan mit Konzentrationszonen für die Windenergie für unwirksam erklärt. Das ist an sich noch nichts wirklich bemerkenswert, hat das OVG in den letzten Jahren doch Dutzende solcher Pläne gekippt. Neu ist aber: Dieser Plan war noch vor dem Stichtag im Februar 2024 in Kraft getreten und entfaltete erstmal Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB. Jedoch hatte er seine ursprüngliche Ausschlusswirkung nach § 245e Abs. 1 S. 2 BauGB verloren, weil der zuständige (und beigeladene) Landkreis gem. § 5 Abs. 2 WindBG festgestellt hatte, dass die für 2027 maßgeblichen Flächenbeitragswerte nach dem WindBG erreicht worden waren. In Folge einer solchen Feststellung „verwandelten“ sich nach der gesetzlichen Regelung des § 245e Abs. 1 S. 2 BauGB sämtliche bisherigen Konzentrationsplanungen in eine reine Positivplanung. Und das bislang nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegierte Windenergievorhaben in ein sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB. Kurz nach der Feststellung des Erreichens der Flächenbeitragswerte erhob ein Projektierer den jetzt vom OVG Lüneburg entschiedenen Normenkontrollantrag.
Die Gegenseite argumentierte: Wozu noch dieser Antrag? Der FNP war jetzt doch nur noch eine reine Positivplanung, schloss das Windenergievorhaben doch gar nicht mehr aus! Das BVerwG erachtet Normenkontrollanträge gegen Flächennutzungspläne nur dann als statthaft, wenn diese eine Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB entfalten. Und überhaupt: Das Vorhaben liegt doch außerhalb der Konzentrationszonen und war doch deshalb ab jetzt eh entprivilegiert und im Außenbereich schlichtweg planungsrechtlich unzulässig. Kurzum: auch kein Rechtsschutzbedürfnis mehr?
Doch, entschied das OVG Lüneburg.
Rechtmäßigkeit der WindBG-Feststellung abhängig von Rechtmäßigkeit des Plans
Denn im zu entscheidenden Fall lag eine Sonderfallgestaltung vor. Die Ausschlusswirkung des Plans war hier nur wegen der Feststellung des Landkreises entfallen, dass die Flächenbeitragswerte erreicht seien. Dabei, so die Argumentation des OVG, würde die Rechtmäßigkeit der Feststellung wiederum von der Rechtmäßigkeit des streitigen Plans abhängen. Denn diese Feststellung war dem Landkreis tatsächlich nur gelungen, weil er zusätzlich zu den Windenergiegebieten im Regionalplan sämtliche Sondergebiete für die Windenergie der kommunalen Flächennutzungspläne angerechnet hatte! Würde also der streitige FNP für unwirksam erklärt, wäre er nicht (mehr) auf die Flächenbeitragswerte anrechenbar und die für die Feststellung nach § 5 Abs. 2 WindBG notwendige Fläche würde unterschritten werden. Folglich wären die Flächenbeitragswerte richtigerweise nicht erreicht worden, folglich wäre die Ausschlusswirkung des FNP nicht entfallen – und der Normenkontrollantrag deshalb letztendlich zulässig.
NKA zulässig, wenn Erreichen des Flächenbeitragswerts substantiiert angegriffen
Dabei sah sich das OVG Lüneburg nicht veranlasst, bereits im Rahmen der Zulässigkeit die Wirksamkeit des FNP sowie die Wirksamkeit der Feststellung selbst vollständig zu überprüfen. Eine solche Prüfung „überstiege den üblichen Umfang der Prüfung von (nur) formalen Aufhebungsakten bei weitem“ und „würde deshalb den Rahmen der Zulässigkeitsstation einer Normenkontrolle sprengen„. Das gelte insbesondere für die hier umstrittene niedersächsische Sonderkonstellation, in der die Feststellung der Erreichung des Teilflächenziels auf der Einbeziehung einer Vielzahl von Bauleitplänen beruht. Dem Gericht genügte daher insoweit das substantiierte Vorbringen der Antragstellerin, die Feststellung des Erreichens der Flächenbeitragswerte sei rechtswidrig und unterstellte im Rahmen der Zulässigkeit des Antrags die für die Statthaftigkeit erforderliche Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB.
Aus letztlich den gleichen Gründen bejahte das Gericht auch das Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen setze § 4 Abs. 2 WindBG eine Rechtsschutzmöglichkeit voraus, die nach Art. 19 Abs. 4 GG ohnehin geboten sei. Nachdem diese Zulässigkeitshürden genommen waren, kippte das OVG den angegriffenen Flächennutzungsplan hinsichtlich dessen Ausschlusswirkung.
Damit hat das OVG Lüneburg deutlich die Rechtsschutzmöglichkeiten von Projektieren gestärkt. Diese können sich auch gegen „neue“ reine Positivplanungen wenden, die die beabsichtigten – womöglich schon lange beantragten Standorte – nicht als Windenergiegebiet ausweisen und müssen die mit Feststellung der Flächenbeitragswerte eintretende Entprivilegierung nicht hinnehmen. Spannend bleibt, wie die übrigen Verwaltungsgerichte darauf reagieren und ob diese Rechtsschutzmöglichkeit auch gegen Pläne offensteht, die bereits von vornherein als reine Positivplanung erlassen wurden.