Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg beschäftigte sich in seinem Beschluss vom 29.04.2019 (12 ME 188/18) mit der Frage, ob der Trudelbetrieb von Windenergieanlagen und sog. Schmierfahrten einen „Betrieb“ i.S.d. BImSchG darstellen.
Der Sachverhalt
Eine sofort vollziehbare immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von insgesamt acht Windenergieanlagen wurde durch eine Naturschutzvereinigung angegriffen. Hieraufhin stellte das VG Oldenburg die aufschiebende Wirkung der Klage der Naturschutzvereinigung wieder her (Beschl. v. 08.02.2018, Az.: 12 B 67/18). Für die bis dahin bereits errichteten vier Windenergieanlagen hat dies zur Folge, dass diese bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren (Klage) nicht mehr betrieben werden dürfen. Dementsprechend nahm die Betreiberin die betreffenden Windenergieanlagen außer Betrieb. Eine vollständige Stillstellung/ Arretierung der Anlagen erfolgte jedoch nicht. Die Anlagen befinden sich seitdem im sog. Trudelbetrieb.
Aufgrund dessen wendete sich die Naturschutzvereinigung erneut an das VG Oldenburg und beantragte Sicherungsmaßnahmen zur Einstellung der Betriebsfortführung. Nach seiner Prüfung kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass der beanstandete Trudelbetrieb nicht als „Betrieb“ i.S.d. BImSchG einzustufen ist (näheres zu dieser Entscheidung finden Sie hier), sodass auch keine Missachtung des Beschlusses vom 08.02.2018 (12 B 67/18) stattfinde.
Hiergegen richtete sich die anschließende Beschwerde der Naturschutzvereinigung. Dabei legte die Vereinigung im Beschwerdeverfahren ergänzend dar, dass für die Windenergieanlagen auch sog. Schmierfahrten durchgeführt wurden. Auch hierdurch würden die Windenergieanlagen unter Missachtung der wiederhergestellten aufschiebenden Wirkung der Klage betrieben.
Der Beschluss des OVG
Definition des Betriebs i.S.v. BImSchG
In seiner Beschwerdeentscheidung definierte das Oberverwaltungsgericht zunächst den Begriff des Betriebs einer Anlage im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 BImSchG. Es stellte klar, dass der Begriff des Betriebs nicht eng ausgelegt werden darf. Zu ihm gehöre bei Windenergieanlagen nicht allein die Stromproduktion, sondern die gesamte Betriebsweise einschließlich Wartung und Unterhaltung der Anlagen. Auch ein Probe- oder Wartungsbetrieb sei wohl Betrieb einer Anlage, sofern dieser zumindest abstrakt geeignet ist, ähnliche Gefahren herbeizuführen wie der spätere Betrieb der Anlagen zu deren vorgesehenem Produktionszweck.
Trudelbetrieb
Ausgehend hiervon bestätigte das OVG Lüneburg, die bereits durch das VG Oldenburg vorgenommene Einordnung des Trudelbetriebs. Es unterstrich nochmals, dass es sich bei dem Trudelbetrieb um keinen „Betrieb“ i.S.d. BImSchG handele. Dies gelte selbst dann, wenn im Trudelbetrieb geringe Strommengen erzeugt werden würden. Dies war zumindest der Vortrag der Naturschutzvereinigung. Denn der Trudelbetrieb sei schon nicht als eine Inbetriebnahme zu dem vorgesehenen Produktionszweck einer Stromabgabe „nach außen“ anzusehen. Zudem gingen bei einem Trudelbetrieb von der Anlage keine ähnlichen Gefahren für die Umwelt aus wie bei einem Betrieb der Anlagen zu deren vorgesehenem Produktionszweck.
Hierzu stellte das OVG Lüneburg auf eine Auswertung der Betriebsprotokolle einer Windenergieanlage ab. Diese kam zu dem Ergebnis, dass selbst an besonders windstarken Tagen im Trudelbetrieb lediglich Umdrehungszahlen gemittelt von 0,21 U/min und damit eine Blattspitzengeschwindigkeit von gemittelt 4,5 km/h erreicht werden. Bei dieser geringen Geschwindigkeit seien signifikant erhöhte Kollisionsrisiken sowohl für Fledermäuse als auch für Vögel ausgeschlossen. Dabei berief sich das Oberverwaltungsgericht auf verschiedene Studien.
Schmierfahrten
In den zwischen den Beteiligten unstrittigen Schmierfahrten sah das Oberverwaltungsgericht hingegen einen Betrieb der Windenergieanlagen im Sinne des BImSchG. Die Betreiberin der Anlagen hatte hierzu im Verfahren eingeräumt, dass zwei Windenergieanlagen im Zuge von Wartungsarbeiten in den Wind gedreht wurden. Hierdurch hätten diese kurzfristig Rotordrehzahlen von 9,02 rpm erreicht. Diese Vorgehensweise sei erforderlich gewesen, da im Trudelbetrieb das Schmiermittel an den Zahnrädern und Lagerstätten nur unzureichend verteilt wird. Durch die zeitweilige beschleunigte Drehung des Triebstranges sollen Korrosion und „Stillstandsmarkierungen“ (Verschleißerscheinungen in den Blattlagern) vermieden werden.
Das OVG Lüneburg stellte klar, dass diese Schmierfahrten als Wartungsbetrieb dem Betrieb einer Anlage im Sinne des BImSchG zuzurechnen sind. Die Schmierfahrten seien jedenfalls abstrakt gesehen für Vögel und Fledermäuse ähnlich gefährlich wie der Betrieb der Windenergieanlagen zur Stromerzeugung. Die Schmierfahrten stellen daher nach Auffassung des OVG Lüneburg eine Missachtung der wiederhergestellten aufschiebenden Wirkung der Klage dar.
Fazit
Der Beschluss des OVG Lüneburg zeigt deutlich auf, dass eine wiederhergestellte aufschiebende Wirkung von Widersprüchen oder Klagen bereits durch einen bloßen Wartungsbetrieb missachtet werden kann. Dabei erkennt das Oberverwaltungsgericht durchaus die fachliche Notwendigkeit von vereinzelten Schmierfahrten für vorübergehend stillgelegte Windenergieanlagen an. Das Gericht stellt daher zumindest in den Raum, dass solche Schmierfahrten ggf. unter risikomindernden Auflagen zugelassen werden können. Allerdings bedürfe es hierfür der Abänderung des vorangegangenen Beschlusses zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Betroffene Windenergieanlagenbetreiber sollten daher in jedem Fall darauf achten, frühzeitig entsprechende Abänderungsanträge nach § 80 Abs. 7 VwGO bei Gericht einzureichen, sollten für ihre Windenergieanlagen Schmierfahrten möglicherweise erforderlich werden.