Seismologie und Windenergie ist insbesondere im Westen und Süden Deutschlands immer mal wieder auftauchendes Konfliktfeld. Am 29.01.2021 wurde der Bericht zur „Erarbeitung eines Prognosetools für seismische Immissionen an Erdbeben-Messstationen in Nordrhein-Westfalen“ veröffentlicht. Verantwortlich zeichnet Prof. Dr. Joachim Ritter vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Aufgabe war es u.a. die Immissionen von Windenergieanlagen auf seismische Messstationen abzuschätzen und Schutzradien für die einzelnen Arten von Messstationen zu erarbeiten. Dabei sollte explizit sowohl die Aufgabenerfüllung des seismologischen Messnetzes bzw. der einzelnen Station als auch das Interesse an einer möglichst wenig eingeschränkten Windenergienutzung berücksichtigt werden.
Abstandsempfehlungen
Der für Nichttechniker naturgemäß schwer zu lesende Bericht empfiehlt im Ergebnis Abstände zwischen 1 und 3 km. Dabei hängen die konkreten Abstände von verschiedenen Faktoren, wie die Art der konkret betroffenen Messstation bzw. deren konkrete Aufgabe für die Seismologie, die Leistungsklasse der WEA und die Anzahl der WEA ab.
Offene Fragen
Inwieweit diese Abstandsempfehlungen tatsächlich umgesetzt werden bzw. praktische Bedeutung erlangen können ist, aber noch nicht abschätzbar. Denn soweit ersichtlich, ist etwa die Kategorisierung der Messstationen, die der Bericht zur Grundlage seiner letztlichen Abstandsempfehlungen macht, selbst erst einmal „nur“ eine Empfehlung an die Politik oder die Betreiber der Stationen und bedarf somit noch der Umsetzung.
Gleiches gilt für die – sicher richtige – Anregung, die Messstationen der einzelnen Betreiber virtuell zu verknüpfen, um auf diese Weise etwaige Störungen zu beseitigen bzw. auszugleichen. Aus praktischer Sicht am schwierigsten ist jedoch der Umstand, dass nach dem Verfasser des Berichtes zu modernen Anlagen ab 4 MW noch Erkenntnisse zum Schwingungsverhalten fehlen und sich die Abstandsempfehlungen überdies zunächst nur auf Einzelanlagen beziehen. Eine Hochrechnung auf Anlagengruppen sei demnach zwar möglich aber wiederum nur für Gruppen gleicher Art in ungefähr derselben Entfernung.
In der Praxis jedoch dürften die weitaus meisten Fälle Anlagengruppen mit unterschiedlichen Typen in unterschiedlicher Entfernung zur Messstation und mit unterschiedlichen Untergründen und Fundamenten betreffen. Eine pauschale Abstandsforderung für diese praktisch bedeutsamen Konstellationen findet sich indessen nicht.
Schließlich spricht der Bericht an vielen Stellen davon, dass an fast allen Messstation ein mehr oder weniger ausgeprägtes „Rauschen“ durch bereits vorhandene Störungen existiert. Nicht ganz klar für den Laien wird, ob die ermittelten Abstände so bemessen sind, dass befürchtete Auswirkungen von WEA innerhalb dieses Rauschens verbleiben. Dabei stellt sich diese Frage auch deshalb, weil die spezifischen Auswirkungen von WEA durch den Berichtsverfasser u.a. danach nach statischen (Turm) und beweglichen Teilen (Rotorbewegungen) unterschieden werden. Gerade der statische Teil unterscheidet sich für den Laien nicht von anderen (Hoch-)bauten wie Leitungsmasten, Schornsteine, Industrieanlagen oder Hochhäuser, wobei nicht bekannt ist, ob für derartige Bauten ebenfalls eine Untersuchung zur Immission auf seismologische Messstationen erfolgt. Wenn derartige Immissionen als „Rauschen“ hingenommen werden, dürfte das aber für WEA eigentlich nicht anders zu beurteilen sein.
Fazit
Es bleiben also – wie der Bericht auch selbst betont – noch einige Fragen offen. Sicher ist es richtig, die bislang eher schwammige Prognose von Störungen seismischer Messstationen durch WEA auf erkenntnistheoretische Füße zu stellen.
Man hat etwa bei der Funknavigation sehen können, wie wertvoll derartige Untersuchungen sein können, um strukturelle Überbewertungen von Risiken zu Lasten der Energiewende zu vermeiden.
Insoweit ist der Bericht sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Eine praktische Handhabe für den Umgang von WEA mit den Belangen der Seismologie scheint er aber (noch) nicht zu sein.