12.07.2019

Gesundheitsgefährdung durch Windenergieanlagen – viel Lärm um Nichts?

Das OLG Schleswig-Holstein sorgt mit einem Urteil vom 13.06.2019 gerade unter Windkraftgegnern für viel Aufregung. Das Gericht hob das abweisende Urteil des LG Itzehoe gegen die Klage zweier Anwohner auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an die Vorinstanz zurück. Die Kläger hatten behauptet, sie würden durch den Betrieb von Windenergieanlagen in ihrer Gesundheit beeinträchtigt und litten an verschiedenen Symptomen, wie Schlafstörungen, Benommenheit, Erschöpfung, Durchfall und Reizbarkeit.

Das nunmehr wahrzunehmende Medienecho, wonach beim Betrieb von Windenergieanlagen potenzielle Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Infraschall oder elektromagnetische Strahlung nicht ausgeschlossen werden könnten oder dass sich Verwaltung und Gerichte nunmehr auch nach den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) richten müssten – teilweise ist von einem „bahnbrechenden“ Urteil die Rede -, bedarf indes einer kritischen Würdigung.

Denn derart bemerkenswert wie allenthalben angepriesen ist das Urteil bei Lichte betrachtet nicht. Das zeigt sich vor allem bei der gebotenen Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH sowie der prozessualen Besonderheiten des Falles. Im Gegenteil, das OLG hat in der Sache selbst nicht entschieden, sondern vor allem verfahrensrechtliche Fragen aufgeworfen. Wegweisend Neues ist dem Urteil letztlich nicht zu entnehmen.

Worum ging es eigentlich?

Dem vom OLG Schleswig-Holstein entschiedenen Fall lag die Klage zweier Anwohner zugrunde. Im Vorfeld hatten die beiden Kläger vor dem Verwaltungsgericht Schleswig (Az.: 6 A 160/12) und dem Oberverwaltungsgericht VG Schleswig (Az.: 1 LA 9/14) die immissionsschutzrechtliche Genehmigung der Windenergieanlagen erfolglos angegriffen.

Sie bezogen im Jahr 2000 ein im Außenbereich belegenes Wohnhaus. In dessen Nähe existierte – südlich gelegen – seinerzeit bereits ein aus zehn Windenergieanlagen bestehender Windpark. Im Jahr 2015 kamen nördlich des Wohnhauses noch drei große Windenergieanlagen hinzu. Gegenstand der Klage waren nun sieben weitere, 2011 errichtete Windenergieanlagen, zu denen die Kläger behaupteten, sie verursachten Gesundheitsstörungen.

Erstinstanzlich hatte das Landgericht Itzehoe die sieben Klagen der Kläger gegen jede einzelne Windenergieanlage unter anderem mit der Begründung abgewiesen, die eingewandten Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Infraschall, Discoeffekt und Schatten- sowie Eiswurf seien als unerheblich einzustufen. Dafür sei bereits die Entfernung des Wohnhauses zu den maßgeblichen Windenergieanlagen von etwa 1.000m zu groß. Eine unter Umständen angezeigte Beweiserhebung nahm das Gericht dehalb nicht mehr vor. Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung bemängelten die Kläger dementsprechend vor allem auch Verfahrensfehler auf Seiten des LG Itzehoe.

Ohne Beweis keine Entscheidung

In diesem Punkt gaben ihnen die Richter des OLG recht. Aus ihrer Sicht habe die Vorinstanz eine unbedingt notwendige Beweiserhebung unterlassen und die gesetzliche Beweislast falsch verteilt. Vor allem aus diesen Gründen ist die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen worden. Zu den streitentscheidenden Fragen, ob die von den Klägern behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigungen tatsächlich vorliegen, ob diese kausal durch die beklagten Windenergieanlagen (mit-)verursacht worden sind und wenn ja, ob etwaige Beeinträchtigungen als unwesentlich nach § 906 Abs. 1 BGB hinzunehmen sind, verhielt sich das Gericht letztlich nicht. Wie also die erneute Verhandlung der Klagen vor dem Landgericht Itzehoe letztlich ausgehen wird, darf gegenwärtig als offen bezeichnet werden.

Und warum dann dieser Aufruhr?

Vor allem Windkraftkritiker nehmen das Urteil nunmehr zum Anlass, von einem wegweisenden Mittel gegen den Betrieb unliebsamer Windenergieanlagen zu sprechen. Das verwundert ein wenig. Denn die verfahrensrechtlichen Ausführungen des OLG Schleswig sind keineswegs neu. Sie geben im Wesentlichen nur die Haltung des BGH hierzu wieder. Die Maßstäbe, anhand derer beurteilt werden kann, ob zivilrechtliche Abwehransprüche gegen den Betrieb von Windenergieanlagen bestehen, hat der BGH nämlich in mehreren Entscheidungen bereits festgezogen und im Regelfall zugunsten der Windenergie entschieden.

Für die nun zur Schau getragene Euphorie der Windkraftgegner dürften vor allem die windkritischen Untertöne des Urteils sorgen. So wird etwa die Unbefangenheit des erstinstanzlich beauftragten Schallgutachters in Zweifel gezogen. Auch hinterfragt das Gericht die Maßgeblichkeit der in der TA Lärm verankerten zulässigen Schallgrenzwerte. Dies v.a. mit dem Hinweis darauf, dass die Werte schon mehr als 20 Jahre alt wären. Dass sowohl dem Gutachter als „amtlicher Messstelle“ im Sinne von § 29b BImSchG als auch den Vorgaben der TA Lärm öffentlich-rechtlich gesehen eine nicht unwesentliche rechtliche Bedeutung zukommt, wird dabei vom OLG in bedenklicher Art und Weise relativiert.

Der Abwehranspruch nach § 906 BGB

Maßgeblich kann letztlich allein die objektive Rechtslage und damit der Inhalt von § 906 BGB sein. Danach kann ein Grundstückseigentümer Beeinträchtigungen durch Immissionen nicht abwehren, wenn diese Immissionen nur „unwesentlich“ sind. Hierzu bestimmt § 906 Abs. 1 S. 2 BGB, dass Immissionen in der Regel unwesentlich sind, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte nicht überschritten werden. Gleiches gilt nach § 906 Abs. 1 S. 3 BGB für die Einhaltung von Grenz- oder Richtwerten nach Verwaltungsvorschriften aufgrund § 48 BImSchG. Nach Auffassung der Richter des OLG Schleswig-Holstein war hierzu nun erstinstanzlich nicht (ausreichend) Beweis erhoben worden. Insbesondere habe die Vorinstanz verkannt, dass der Windenergieanlagenbetreiber die Beweislast dafür trage, dass von seinen Anlagen ausgehendene Beeinträchtigungen nur unwesentlich sind.

Mit den von ihm aufgestellten Anforderungen stellt das OLG aber sowohl die Parteien wie auch die Vorinstanz vor besondere Herausforderungen. Denn insbesondere für die von den Klägern geltend gemachte Infraschallbelastung existieren nach geltender Rechtslage bislang überhaupt keine Grenzwerte. Zudem dürfte wissenschaftlich belastbar nachgewiesen sein, dass ab einer Entfernung von etwa 700 m Infraschall gerade nicht mehr wahrnehmbar ist (siehe Infoblatt des LUBW, abrufbar hier). Vor diesem Hintergrund ist dem Grunde nach gegen die Vorgehensweise des Landgerichts Itzehoe, das aus diesem Grunde eine weitere Beweiserhebung nicht vorgenommen hatte, an sich nichts zu erinnern.

Schließlich ist bislang wissenschaftlich auch nicht belegt, dass Infraschall tatsächliche negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hat. Es fragt sich also, zu welchen Ergebnissen das Landgericht im Rahmen der vom OLG nunmehr angemahnten Beweiserhebung kommen soll und anhand welcher Maßstäbe es dann die Wesentlichkeit bzw. Unwesentlichkeit der dann etwa festgestellten Belastung beurteilen soll. Die wohlfeil formulierten Anforderungen des OLG Schleswig dürften deshalb einem wissenschaftlichen Forschungsauftrag gleichkommen.

„Überempfindlichkeit ist ein Los, das jeder selbst tragen muss“

Dabei dürfte der Umstand, dass im näheren Umfeld des Wohngebäudes der Kläger noch mindestens 13 weitere Windenergieanlagen betrieben werden, eine ganz entscheidende Rolle bei der tatrichterlichen Würdigung des Sachverhalts spielen. Insgesamt ist das – wohl gemerkt im Außenbereich belegene – Gebäude damit einer „Belastung“ von immerhin 20 Windenergieanlagen ausgesetzt. Erst wenn die hiermit verbundenen Fragen, welche Immissionen auf das Grundstück der Kläger einwirken und von welchen konkreten Anlagen sie überhaupt herrühren, beantwortet sind, stellt sich eigentlich die nunmehr vom OLG Schleswig ins Zentrum seiner Erwägungen gerückte Problematik. Werden geradevon den beklagten Windenergieanlagen zulässige Grenzwerte überschreiten (und welche sollen das sein) und führt dies zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Kläger?

Für die durch das erstinstanzliche Gericht vorzunehmende Bewertung der Wesentlichkeit etwaiger Beeinträchtigungen hat das OLG dabei – ganz im Einklang mit der BGH-Rechtsprechung – den Maßstab bereits vorgegeben. Es kommt auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen an. Oder um es mit den Worten des OLG zu sagen: „Überempfindlichkeit ist ein Los, das jeder selbst tragen muss„.

Abwarten und Tee trinken …

Für die Branche heißt es deshalb, zunächst den weiteren Verlauf des Gerichtsverfahrens sowie die vom OLG angemahnte Beweiserhebung abzuwarten. Bis dahin bestehen jedenfalls nach diesseitiger Auffassung keine Gründe dafür, in Panik zu verfallen. Auf Grundlage des OLG-Schleswig-Urteils verklagte Anlagenbetreiber sollten daher kühlen Kopf bewahren und rechtlichen Rat suchen. Letztlich sind zivilrechtliche Unterlassungsansprüche stets eine Frage des konkreten Einzelfalls, der von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird. Das macht auch das hier besprochene Urteil einmal mehr deutlich. Einem singulären Urteil, das zudem hauptsächlich prozessrechtliche Fragen aufwirft, sollte vor diesem Hintergrund nicht allzu viel Bedeutung beigemessen werden.

Auswirkungen auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Errichtung und des Betriebs von Windenergieanlagen nach Immissionsschutzrecht hat das Urteil des OLG Schleswig indes ohnehin nicht. Es betrifft allein die Auslegung von § 906 BGB und daher die zivilrechtliche Sicht. Demgegenüber ist die Frage der Genehmigung von Windenergieanlagen und die Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Die Norm des § 906 Abs. 1 BGB ist dementsprechend auch weder eine Betreiberpflicht noch eine öffentlich-rechtliche Vorschrift und findet daher im Genehmigungsverfahren keine Anwendung. Für die Genehmigung von Windenergieanlagen und die Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten bleibt es zudem bei der vom OLG Schleswig hinterfragten Maßgeblichkeit der öffentlich-rechtlichen Grenz- und Richtwerte der TA-Lärm (zum Verhältnis TA-Lärm zu den LAI-Hinweisen lesen Sie hier).

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