Kein Windhundprinzip beim Netzanschluss – Reservierungsverfahren laut BGH grundsätzlich zulässig
Der BGH hat sich mit Urteil vom 21.03.2023 (Az. XIII ZR 2/20 – abrufbar hier) erstmals zur Zulässigkeit der Reservierung von Netzverknüpfungspunkten und diesbezüglich zum Windhundprinzip im EEG positioniert. Damit hat er seit Jahren bestehende Unsicherheiten vor allem auf Seiten der Netzbetreiber, wie nämlich begrenzte Netzkapazitäten im Fall von konkurrierenden Netzanschlussbegehren zu vergeben sind, zumindest dem Grunde nach geklärt. Auch Anlagenbetreiber dürften für das nun vorliegende Mehr an Rechtsklarheit aber durchaus dankbar sein. Hatte sich das Problem angesichts massiver Zubauzahlen von EE-Anlagen und einem nur schleppend vorankommenden Netzausbau zuletzt doch erheblich zugespitzt und damit eine wirtschaftlich verlässliche Planung von Anlagen zunehmend erschwert.
Wer zuerst kommt, mahlt nicht immer zuerst!
Konkret hatte der BGH über einen recht vertrackten Fall zweier PV-Anlagen-Betreiberinnen aus dem Jahr 2012 zu entscheiden. Beide Betreiberinnen begehrten einen Anschluss an denselben Netzverknüpfungspunkt. Hierbei war – geradezu idealtypisch – aus Kapazitätsgründen allerdings lediglich der Anschluss einer der mehr oder weniger gleichzeitig und in unmittelbarer Nähe zueinander errichteten Anlagen möglich.
Der Netzbetreiber hatte – sehr kurz zusammengefasst – nun einem der Anschlusspetenten auf Grund eines früheren Reservierungsantrags eine Einspeisezusage erteilt. Der anderen Betreiberin, deren Anlage allerdings rund drei Monate früher in Betrieb genommen wurde und auch früher genehmigt war, verweigerte er den Anschluss am gewünschten Punkt hingegen und wies ihr einen anderen Verknüpfungspunkt zu. Pikanterweise wurde die Reservierung für die Konkurrentin dabei erst nach Meldung der Inbetriebsetzung der zuerst fertig gestellten Anlage an den Netzbetreiber – und das lediglich auf Grundlage der ersten Seite der vorgelegten Baugenehmigung – erteilt. Damit wiederum wollte sich die unterlegene Klägerin nicht zufrieden geben und bemühte die Zivilgerichte – wäre sie nach dem Windhundprinzip doch zuerst anzuschließen gewesen. Sie begehrte daher Schadensersatz wegen der bei ihr aufgelaufenen Mehrkosten und Ertragsausfälle. Möglicherweise zurecht wie der BGH nun entschied.
Trotz Beschleunigungsgebot kein Windhundprinzip beim Netzanschluss
Zum Netzanschluss auf Basis von Reservierungsverfahren hielt der BGH zunächst aber fest: Es ist einem Netzbetreiber nach dem EEG nicht grundsätzlich verwehrt, bereits vor der anschlussfertigen Errichtung einer Anlage Einspeisekapazitäten an einem bestimmten Netzverknüpfungspunkt zugunsten dieser Anlage zu reservieren, so dass diese Kapazitäten für andere Anlagen nicht mehr zur Verfügung stehen. Dem vielfach vertretenen Windhundprinzip, wonach stets die zuerst einspeisebereite Anlage anzuschließen wäre, erteilte der BGH damit eine deutliche Absage. Er begründet dies vor allem mit dem Aspekt der Planungs- und Investitionssicherheit. Eine solche sei immer dann nicht gegeben, wenn nicht gewährleistet ist, dass die zum Netzanschluss mitgeteilten Informationen, insbesondere zum günstigsten Netzverknüpfungspunkt, ab einem bestimmten – für die Investitionsentscheidung maßgeblichen – Zeitpunkt für eine gewisse Zeit verbindlich bleiben. Deshalb werde eine verbindliche Reservierung von Einspeisekapazitäten an bestimmten Netzverknüpfungspunkten dem Gesetzeszweck in besonderer Weise gerecht.
Wenn schon Reservierung, dann aber richtig
Bei der Ausgestaltung des Reservierungsverfahrens und der Reservierungsentscheidung selbst habe der Netzbetreiber allerdings die Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen. Das erfordere ein transparentes, diskriminierungs- und willkürfreies Verfahren. Der Netzbetreiber müsse zudem sicherstellen, dass das Reservierungsverfahren den Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht behindert, was etwa Anlass dafür geben dürfte, Reservierungen in geeigneter Weise zu befristen.
Im konkreten Fall wollte der BGH die Klage gleichwohl nicht endgültig abweisen. Vielmehr stellte er fest, dass es sich der Netzbetreiber, der auf eingehendere Prüfungen der bei ihm eingereichten Unterlagen weitestgehend verzichtete, dann doch zu einfach gemacht hatte. Er habe ein von ihm aufgestelltes Reservierungskriterium nicht beachtet und deswegen unter Umständen doch Schadenersatz zu leisten. Die Sache wurde daher an das OLG Brandenburg zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Es dürfte spannend bleiben
Mit der Entscheidung gegen das Windhundprinzip und für die Zulässigkeit eines Reservierungsverfahrens beseitigt der BGH in der Tat in der Branche lange bestehenden Unsicherheiten – zumindest ein Stück weit. Gerade der vom höchsten deutschen Zivilgericht bemühte Aspekt der Planungssicherheit ist vielen Anlagenbetreibern ein besonderes Anliegen. Lähmende und zudem zeitlich ausufernde Gerichtsprozesse um den richtigen Netzverknüpfungspunkt sind alles andere als zuträglich für eine rasche Energiewende. Sie werden von den Anlagenbetreibern regelmäßig auch gescheut.
Gerade mit Blick auf den hiesigen, durchaus kniffligen Sachverhalt ist das BGH-Urteil aber alles andere als zwingend. Es lässt die Branche zudem mit wesentlichen Fragen auf sich allein gestellt zurück. Wie nämlich ein Reservierungsverfahren inhaltlich auszugestalten ist, wann die Grenzen der Diskriminierungsfreiheit und der Transparenz erreicht sind und wie lange eine Reservierung befristet werden kann, hat der BGH nicht entschieden.
Deutschlandweit gibt es mehr als 850 Verteilnetzbetreiber. Nicht wenige von ihnen haben schon seit Jahren eigene Reservierungskriterien aufgestellt, auf deren Einhaltung sie auch vehement pochen. Das lässt jedenfalls einmal Zweifel daran aufkommen, dass es in dieser Hinsicht künftig gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen in allen Netzgebieten geben wird. Dies wiederum dürfte einer allgemeinen Rechtssicherheit kaum zuträglich sein.
Es wäre deshalb ein deutlicher Fingerzeig in Richtung des Gesetzgebers gewesen, ihn auf die Unzulänglichkeiten der Vorgaben zum Netzanschluss hinzuweisen und eine Neuregelung oder jedenfalls eine Änderung anzumahnen. Zumal es auch verfassungsrechtlich höchst fragwürdig sein dürfte, den Netzbetreibern – wohlgemerkt Personen des Privatrechts – die Ausgestaltung eines materiell-rechtlichen, gesetzlichen Anspruchs aus dem EEG in die Hände zu legen. Vor diesem Hintergrund stehen in Zukunft sicher noch zahlreiche weitere Gerichtsverfahren zu erwarten, die erst zu Stück für Stück die nötige Rechtsklarheit bringen. Wir halten Sie auf dem Laufenden.